2001 waren RENAISSANCE weit davon entfernt mit großem Orchester auftreten zu können. Einen freundlichen Finanzier zu finden, der ein Album wie das Referenz-Werk „Live At Carnegie Hall“ im neuen Jahrtausend produzieren würde, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein.
Immerhin treten fünf Instrumentalisten und eine Sängerin an, um dem RENAISSANCE-Sound die nötige Fülle zu geben. Über weite Strecken gelingt das ziemlich gut. Und die eher poppigen Liedchen, von „Northern Lights“, dem wohl größten Hit der Band, über die beiden Songs aus Annie Haslams Solowirken („Ananda“ und „Precious One“), bis hin zur mäßigen Coverversion von MIKE OLDFIELDs „Moonlight Shadow“, brauchen von Natur aus nicht viel Opulenz. Drei Mitglieder der Stammband – eigentlich der zweiten Ausgabe, wenn man die „ersten“ RENAISSANCE um Keith und Jane Relf mitzählt – finden sich „In The Land Of The Rising Sun“ im Jahr 2001 auf der Bühne wieder. Von den anderen Musikern dürfte Freunden der gepflegten progressiven Musik Keyboarder Mickey Simmonds am bekanntesten sein, der bereits MIKE OLDFIELD, CAMEL und FISH tatkräftig an den Tasten unterstützte (und zumindest FISH als Komponist unter die Arme griff).
Am wichtigsten ist vermutlich, dass RENAISSANCE‘ charakteristische Sängerin Annie Haslam mit an Bord ist. Ende der 90er tat man sich wieder zusammen und produzierte gemeinsam das Album „Tuscany“, an dem auch Original-Keyboarder John Tout mitwirkte, der Live allerdings fehlt. Vergessen die eher unglückliche Splittergruppe ANNIE HASLAM’S RENAISSANCE sowie das Konkurrenzprodukt unter dem Originalnamen, das „The Other Woman“ präferierte. Zumindest ein Album lang.
Haslams Stimme ist zwar etwas brüchiger, dunkler und nicht mehr ganz so klar wie in den Siebzigern, aber immer noch unverkennbar. Glücklicherweise werden die Alben nach „A Song For All Seasons“, mit Ausnahme des damals aktuellen „Tuscany“, ausgespart. So bleibt der klebrige Plastikpop, der Veröffentlichungen wie „Camera, Camera“ auszeichnete dort, wo er hingehört: in der Versenkung. Zwar sind die kurzen Stücke auf der ersten CD alles andere als essenziell, aber sie verkleistern auch nicht die Gehörgänge. Von „Moonlight Shadow“, das ein Zeitlang zu Haslams Solorepertoire gehörte, abgesehen. Die leicht orientalischen Reminiszenzen in „Ananda“ erweitern das Soundspektrum sogar, wenn auch der gesamte Song keinen Ausbruch aus der Welt des artigen Schönklangs á la RENAISSANCE darstellt.
Die Klassiker wie „Carpet Of The Sun“, „Midas Man“ und „Mother Russia“ werden etwas bedächtiger als früher interpretiert, was vor allem dem „Midas Man“ gut steht. Durch das verschleppte Tempo und das abgespeckte Arrangement gewinnt er an Tiefe. Das eigentlich eher wütende und aufwühlende „Mother Russia“ kommt allerdings etwas behäbig daher. Trotzdem gefällt, dass der Band auch zu zigtausendfach gespielten Standards neue Variationen einfallen.
Höhepunkt ist das zwanzigminütige „Ashes Are Burning“, das hier ohne Orchester überzeugt. David Keyes Bass-Solo ist denen früherer Aufnahmen (gespielt von Jon Camp) ebenbürtig; der Song hat in dieser Rockbesetzung orchestrale Kraft, erlaubt jazzige Exkursionen und hält die Spannung bis zum Schluss. Leider gibt es im letzten Drittel einige soundtechnische Unsauberkeiten. Wobei nicht ganz klar ist, ob das an der vorhandenen CD liegt oder ein allgemeines Problem ist. Denn davon abgesehen klingt die remasterte Neuauflage tadellos. Glücklicherweise wurde der Sound nicht über Gebühr aufgepeppt.
FAZIT: RENAISSANCE waren meist ein freundliches, harmonisches Äquivalent zu GENESIS, YES, VAN DER GRAAF GENERATOR oder KING CRIMSON in einem ähnlichen musikalischen Umfeld. Auf der Grundlage von Klassik, Folk und Rock spielten RENAISSANCE eine eigene Alternative zu den schwerblütigen, vertrackten und manchmal auch herausfordernd disharmonischen Klängen der oben genannten Bands. Viel Klavier und Streicher statt fette Keyboards, Mellotron oder Orgel; gerne auch die akustische Klampfe statt überbordendem Einsatz der elektrischen Gitarre. Dazu Annie Haslams einzigartiges und eigenwilliges Elfenorgan. Nicht perfekt, aber immer passend. Mit „Live At The Carnegie Hall“ gab es sogar ein Livealbum in der Discographie, das zu den ganz Großen gehört. Besser als jede „Best Of“-Kompilation. Daran kann „In The Land Of The Rising Sun“ nicht anknüpfen. Aber es zeigt eine sichtlich gereifte Band, die sich nichts beweisen muss und deshalb abgeklärt, aber beileibe nicht gelangweilt, klingt.
Außerdem war zu Zeiten des „Carnegie Hall“-Auftritts von der (unseligen) Hinwendung zu plattem Pop keine Rede. Im Jahr 2001 sparen RENAISSANCE diesen Aspekt keineswegs aus, vermeiden aber geschickt die meisten Untiefen. Und zahlreiche Klassiker finden immer noch hörenswerte Neuinterpretationen.
Wer RENAISSANCE kennenlernen möchte, sollte weiterhin zuerst zu „Live At Carnegie Hall“ greifen; wer die Band aber mag, der findet in „In The Land Of The Rising Sun“ eine charmante Ergänzung zum bereits vorhandenen Bestand in einer schmucken Neubearbeitung.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.06.2011
David Keyes
Annie Haslam, Michael Dunford, Mickey Simmonds, Rave Tesar, David Keyes
Michael Dunford
Mickey Simmonds, Rave Tesar (piano)
Terence Sullivan
Repertoire Records
CD1: 51:28 / CD2: 53:44
03.05.2011