Wow! Was ist das nur für ein gigantisches Cover!?
Genau das waren meinen ersten Gedanken, als ich das Album aus seiner Zellophan-Hülle schälte. Noch nicht einen Ton gehört und schon begeistert von dem Cover-Kunstwerk eines SALUSTIANO GARCIA! Und egal, ob das nun in eine Musikkritik gehört oder nicht, wer mehr solche Art von Kunst mag, der sollte unbedingt auch mal einen Blick auf die Werke des Berliners TILO UISCHNER werfen, der als gebürtiger Riesaer aus meiner Heimatstadt kommt.
Auch der schwarze Aufkleber auf der Hülle erweckte meine Neugier: „Elegiac electronica with celestial synthesizer tracks. Essential for fans of STEVE MOORE, MAJEURE, ZOMBI, KRAFTWERK.“ Dazu dann noch diese seltsamen, mal ironischen („480 Pixel, die ich an dir liebe“ oder „Fast neu ist auch gebraucht“), mal beängstigenden („Halleluja, German Angst“ oder „Die Welt ist ja nicht zum Aushalten“) Songtitel. Nur selten war ich bisher so gespannt auf Musik, die sich hinter solcher Verpackung verbirgt.
Und was soll ich sagen – diese Musik klingt nicht etwa NEU!, sondern so ähnlich. Ein tiefer Griff in die elektronische Krautrock-Kiste der 70er Jahre, in der auch ein BRIAN ENO kräftig mit herumwühlte, nachdem KLAUS SCHULZE mit „Irrlicht“ oder „Mirage“ die Richtung gewiesen und selbst KRAFTWERK ihre Finger mit drin hatten. Jahre später versuchte sich dann eine Band an ganz ähnlichen Klängen wie sie heute SANKT OTTEN hervorbringen: THE FUTURE SOUND OF LONDON oder auch ORB, die durch ihre enge Zusammenarbeit mit DAVID GILMOUR die Musikwelt aufhorchen ließen. Solche Musik muss man einfach lieben. Zumindest liebte man sie – in den frühen 70ern. Schon aus diesem Grunde scheint der Titel „Fast neu ist auch gebraucht“ insgesamt Programm für das Instrumental-Duo aus Osnabrück zu sein.
Doch irgendwann kommt spätestens nach dem sechsten Titel etwas Langeweile auf. Ähnlich scheint es wohl auch dem Elektronik-Duo aus Deutschland zu gehen – und sie wechseln zwar spürbar, aber nicht radikal ihre Richtung. Eine Richtung, die bereits seit den solistischen Ausflügen des Kopfes von KING CRIMSON vielen bekannt sein sollte. „The League Of Gentlemen“ und „Under Heavy Manners“ waren das Ergebnis des Herren, der seine neue musikalische Spielart als „Frippertronics“ bezeichnete: ROBERT FRIPP. Schön, dass es sowas noch gibt und nicht ganz so langweilig bei SANKT OTTEN klingt wie beim Meister himself. Hier kommen doch eher Erinnerungen an „No Pussyfooting“ auf – dem bahnbrechenden Album der beiden Elektroniktüftler FRIPP & ENO. Allerdings geht einem nach einer Weile dann doch das manchmal sehr blechern scheppernde Schlagzeug gehörig auf den Geist, womit wir gleich wieder bei KLAUS SCHULZE wären. Also einfach noch mal von vorn.
FAZIT: „Gottes Synthesizer“ muss rot gewesen sein. Ob Gott rot sehen würde bei dieser Musik, ist eine ganz andere Frage. SANKT OTTEN geben eine eindeutige Antwort darauf. Ihre musikalische Göttlichkeit liegt in all den Bereichen, die früher einmal die elektronische Seite des Krautrocks ausmachten – und wer die Scheiben von ENO, MOEBIUS, FRIPP, ROEDELIUS, ASHRA oder NEU! liebte, der wird entdecken, dass auch heute noch aus Deutschland solche Musik kommen kann, die vor 40 Jahren stilprägend war!
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.07.2011
Oliver Klemm
Oliver Klemm
Stephan Otten, Oliver Klemm
Stephan Otten
Denovali Records
71:23
29.07.2011