Undergroundaffine Anhänger des Jimmy-Neutron-Metal dürften die Briten TESSERACT bereits seit der frühen Mitte des vergangenen Jahrzehnts verfolgt und sich ein zweites Loch in den Hintern gefreut haben, als 2010 via Century Media endlich die „Concealing Fate“-EP das Licht der Welt erblickte, die erste „echte“ Veröffentlichung der einst als Soloprojekt des ex-FELL SILENT-Gitarristen Acle Kahney gestarteten, seit 2007 als komplettes Fivepiece agierenden Band. Fortan kann die Musik der Jungs weltweit professionell vertrieben werden, und das haben TESSERACT sich redlich verdient. Gut, es wäre vielleicht nicht unbedingt nötig gewesen, die komplette EP auf „One“ noch einmal zu recyceln, aber da Alben ohnehin mehr Zuspruch beim Fan finden als EPs und, ist der Schachzug möglicherweise gar nicht mal so ungeschickt, zumal die EP lediglich als US-Release erhältlich war.
Das fantastische, in sechs Parts unterteilte, weit mehr als halbstündige Mammutstück ist demnach das Herzstück des Albums und wurde inmitten fünf weiterer, nicht weniger variabler Songs eingebettet: Von extrem gefühlvollen, Gänsehaut hervorrufenden Nummern der Marke „Nascent“ bis zum verhältnismäßig aggressiven „Sunrise“ geht in puncto Abwechslung eine ganze Menge. TESSERACT sind aber nicht etwa „just another math band“, denn auch wenn die Musik der Hyperwürfel stark von TEXTURES, MESHUGGAH, TOOL, A PERFECT CIRCLE, FATES WARNING (zu „Perfect Symmetry“- und „Parallels“-Zeiten) und DEVIN TOWNSEND geprägt wurde, dünstet sie ihre ganz eigene Duftmarke aus und besticht durch ihre spezielle Multidimensionalität und Vielschichtigkeit, die so manch andere Hirnakrobatenbands langweilig dastehen lässt. Manchmal passiert auf extrem harmonische Weise gleichzeitig derart viel, sowohl bezüglich der Metrik, Rhythmik und der Klangfarben als auch der Melodien, dass man sich selbst nach dem fünfzehnten Durchlauf von „One“ fragt: „Wo kommt das denn nun wieder her? Warum hab ich das vorher nicht gehört?“
Wenn der Fünfer so weiter macht, müssen sich die Inspiratoren recht bald sehr warm anziehen, denn die Cleverness hinsichtlich des Songwritings und die Intensität, mit der das emotionsgeladene Klanggewitter blitzt und donnert, ist schon jetzt beängstigend. Und ähnlich wie bei TEXTURES' „Silhouettes“ beschränken sich die von Kahney und Basser Amos Williams beigesteuerten Vocals nicht auf monotones Gebrüll, sondern decken ein Spektrum ab, das von Jens Kidman über Devin Townsend und Maynard J. Keenan bis hin zu fast theatralischem Gesang á la Rody Walker (PROTEST THE HERO) reicht.
FAZIT: Das perfekt produzierte „One“ ist ohne Zweifel eines der beachtlichsten Debüts der letzten zehn Jahre, und es ist dem Quintett von Herzen zu wünschen, dass es a) den verdienten Erfolg einheimst und b) sich niemals verheizen lässt.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.03.2011
Amos Williams
Daniel Tompkins, Amos Williams
Acle Kahney, James Monteith
Jay Postones
Century Media
54:38 (CD), 66:26 (DVD)
18.03.2011