Ob es am Alter liegt, dass mir immer mehr Bands über den Weg laufen, die ich schlichtweg noch nie gesehen geschweige denn gehört habe – und mich dann fragen muss, wie blind und/oder taub ich die ganze Zeit gewesen zu sein schien? Mit den Duisburgern THE BONNY SITUATION hat sich eine solche Situation wieder einmal ergeben.
In der Bleiwüste des Waschzettels werden die Herrschaften einen journalistenzitierenderweise als die „legitimen Nachfolger von FAITH NO MORE“ gehandelt, „ohne Mike Pattons Kapelle zu kopieren“, doch das ist natürlich absoluter Mumpitz, denn der Vergleich hinkt wie ein dreibeiniger Kugelfisch – allerhöchstens die Vielseitigkeit und die Intensität beider Bands nehmen sich nichts. Auch sind solch leichtfertige Brandmarkungen nicht besonders hilfreich für aufstrebende junge Bands, da diese ihnen noch Jahre später anhaften, und zwar widerspenstig wie ausgehärtete Kaugummireste im schmalgerillten Schuhprofil.
Es ist aber auch nicht einfach, dem Unkundigen das vielschichtige Gemisch aus Alternative, Metal, Indie, Wave, Crossover und Pop ohne Namedropping näher zu bringen, denn wenngleich hier und dort Namen wie Sternschnuppen am Gedächtnishimmel entlang huschen, sind sie zu schnell wieder verschwunden. Hört man in „Where Are You Now?“ COLDPLAY mit metallischer Schwere? Irgendwie schon und doch nicht. DEPECHE MODE und BABYLON ZOO machen musikgeographisch in Seattle Halt und legen noch ein paar Eisen drauf („Neonriverboat“)?. Hm. Jein. SUBURBAN TRIBE in drückender und „amerikanischer“ wie in „Thermometer“? Möglich und Blödsinn. Was sagt uns das? Richtig, nichts.
„Passengers 2007-2011“, das durch den Albumtitel und den Untertitel „11 Songs Revisited“ verrät, dass es sich hier um kein neues Album handelt, sondern um eine Quasi-Best-Of, zeigt den Facettenreichtum in Form eines perfekten Querschnitts auf, und wenngleich sich tonnenweise diverse Inspirationen vereinigen, ist die Musik der fünf Mannen extrem individuell geprägt.
Nicht selten wühlt der Cocktail aus schiebenden Gitarrenmassiven, edler Elektronik, Benjamins enorm charismatischer Stimme, sehr präsenten aber nie aufdringlichen Synthesizern, pulsierenden Rhythmen und fragilen leisen Parts emotional ganz schön auf. Die songwriterische Klasse hierbei beeindruckt, denn die Truppe besitzt ohne Zweifel internationales Format – genau so gut könnten THE BONNY SITUATION der nächste Hype von der William-und-Kate-Insel oder aus dem Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten sein, aber es ist Fakt: THE BONNY SITUATION ist Nachwuchs aus eigener Zucht, der locker auf den Bühnen eines jeden Landes bestehen kann.
FAZIT: Heißer Scheiß, der mitnichten so gesichtslos ist wie der Herr, dessen Konterfei auf dem Cover prangt.
Auf der Bandcamp-Seite des Fünfers kann man sich sämtliche Audioreleases kostenlos downloaden, und wer die Scheiben „in echt“ haben möchte, bekommt sie für einen sehr humanen Preis.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 25.07.2011
Hendry Halo Meautaux
Benjamin Francis Santiago
Andreas Hollywood Bacon
Patrick Spencer White
B-Ray
LeFink Records
43:02
14.06.2011