<i>Wie unterschiedlich die Auffassung von Musik sein kann, wenn man eine unterschiedliche musikalische Vorgeschichte hatte, zeigt das folgende Doppelreview: Ich mit PSYCHOTIC WALTZ-„Trauma“, Kollege Andreas Schulz ohne.</i>
So erfreulich die Reunion von Psychotic Waltz sicherlich ist, so birgt sie die Gefahr, dass „Behind The Black Veil” weniger Beachtung findet, als es verdient hat. THE SHADOW THEORY ist nämlich eine Band, die Buddy Lackey bzw. Devon Graves, bekanntermaßen ex-und-wieder-Frontmann von Psychotic Waltz, ins Leben gerufen hat. Dabei hat er einige enorm talentierte Musiker um sich geschart, nämlich Basser Kristoffer Gildenlöw (ex-Pain Of Salvation), Drummer Johanne James (Threshold) sowie den deutschen Gitarristen Arne Schuppner und einen griechischen Keyboarder namens Demi Scott. Mit diesen Herren hat er vier Jahre lang an „Behind The Black Veil” gearbeitet und das Ergebnis ist ohne Zweifel eines der 2010er Jahreshighlights im Prog Metal.
Das Konzeptalbum erzählt eine Geistergeschichte, die ein drogenabhängiger Rockstar erlebt. Gefangen in einer Hölle aus Traum und Albtraum begegnet er einer weiblichen Erscheinung und erlebt die schlimmste Nacht seines Lebens. Diese Geschichte wird enorm stimmungsvoll umgesetzt. Durch das ganze Album zieht sich eine düstere, spannnungsgeladene Atmosphäre, die Graves unter anderem mit verschiedenen Stimmlagen begleitet. Auch seine Flöte kommt zum Einsatz und fügt sich perfekt in das Klangbild ein. Dieses besteht aus psychedelischen, folkloristischen und symphonischen Elementen und reicht im Härtegrad von Prog Rock bis Thrash Metal. Die Musiker agieren darüberhinaus überaus songdienlich und stellen ihre Fähigkeiten stets hinter das Lied und die Stimmung, das Zusammenspiel ist trotzdem zu jeder Zeit perfekt und stets in nachvollziehbare Strukturen geformt. Nicht ganz optimal ist die etwas drucklose und leicht dumpfe Produktion, da ist heutzutage auch mit beschränkten finanziellen Mitteln mehr drin.
Der Klasse des Materials tut dies aber keinen Abbruch. Es erübrigt sich beinahe, einzelne Songs hervorzuheben, denn das Album wirkt wie aus einem Guss und sollte aufgrund des Stimmungsbogens, der aufgebaut wird, eh am Stück gehört werden. So gut wie jeder Song enthält aber diese magischen Momente, die einen aufhorchen lassen oder einen Gänsehautschauer über den Rücken jagen. Akzente setzen oft die ruhiger gehaltenen Refrains, spielerische Schmankerl wie die Flamenco-Gitarre in ´Ghostride´ oder die superben Akustikgitarren in ´Selebrate´, hier wirken sogar die Klatschparts nicht peinlich, sondern überaus passend. Lediglich die etwas übertriebenen Streichercluster in ´Sleepwalking´ sind etwas zuviel des Guten, zudem ist der Song mit seinen schrammeligen Gitarren der schwächste des Albums. Das Finale wird mit Klavier, Percussions und Akustikgitarren in ´A Candle On The Gallery´ eingeleitet und gipfelt im grandiosen, Musical-ähnlichen ´A Symphony Of Shadows´, hier zieht die Band alle Register, was Arrangements, Songwriting und Instrumentierung angeht.
FAZIT: Ohne den Schlusstrack wäre das Album schon seine zwölf Punkte wert, der Bonuspunkt erscheint mehr als nur gerechtfertigt
<b>13 von 15 Punkten</b>
<i>Andreas Schulz</i> (<a href="http://www.musikreviews.de/mitarbeiter/44/Andreas-Schulz">Info</a>)
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Ich erinnere mich noch daran, als COMPLEX 7 im Jahre 2004 in Kassel als Support für DEADSOUL TRIBE - nach dem damaligen Ende von PSYCHOTIC WALTZ von 2000 bis bis 2009 das neue Betätigungsfeld Buddy Lackeys, fortan als Devon Graves unterwegs – auf der Bühne standen. Besonders Graves-Lookalike Arne Schuppner, der Klampfer der komplexen Sieben, war mir mit seinen beeindruckenden Fähigkeiten und einer astreinen Performance positiv im Gedächtnis geblieben, und es dürfte für Schuppner wohl ein in Erfüllung gegangener Traum sein, nun mit der Prog-Ikone zu musizieren. Hinzu kommt noch Prominenz in Form von Drummer Johanne James (THRESHOLD), Kristoffer Gildenlöw (Bassist von PAIN OF SALVATION) und einem vom Musikbiz extrem frustrierten griechischen Keyboarder namens Demi Scott, der den Stein für THE SHADOW THEORY überhaupt erst ins Rollen brachte, da er Devon irgendwann mal anschrieb und ihn um Rat fragte, was er denn tun solle. Neustart für Graves, Neustart für Scott.
Stilistisch zeigt sich das Quintett auf jeden Fall deutlich variabler und deckt von sanften Tönen bis hin zu thrashigen Tönen einiges ab, und auch das ein oder andere symphonische Keyboard, aggressive Shouts und wieder etwas mehr Brainfuck sind im Sound der Schattentheoretiker präsent. Trotz alledem scheint der US-Amerikaner in einer kreativen Sackgasse zu stecken, denn wenngleich sich die Musik abgesehen von unvermeidbaren Parallelen wohltuend von PSYCHOTIC WALTZ und DEADSOUL TRIBE abhebt und somit nicht als „PW & DST reloaded“ abgestempelt werden kann, mag kaum mehr die Magie aufkommen, die man noch von seinen PSYCHOTIC WALTZ-Zeiten kannte.
Natürlich ist es dämlich, einen Musiker, der vorwärts geht, an seinen vergangenen Taten zu messen, und es ist noch dämlicher, den alten Zeiten nachzuweinen, aber bei jener legendären Band muss man diese dämliche Ausnahme einfach machen – denn der Zauber und den Spirit, den diese Truppe damals versprüht hat, ist nur schwer zu reproduzieren (und ein wenig Angst habe ich schon, dass die 2011er Reunion der Band, inklusive angemeldetem neuem Album, zu einer Selbstdemontage verkommt).
Gänsehautmomente gibt es auf „Behind The Black Veil“ durchaus, auch Devon Graves' Stimme ist über alle Zweifel erhaben, aber häufig erscheint vieles an den Kompositionen arg erzwungen, so als wolle man krampfhaft „anders“ sein. Speziell gegen Mitte des Albums ist diesbezüglich der Wurm drin. Besonders aber sind es die symphonisch angehauchten Passagen, die heftigen Parts oder die ein oder anderen Modernisierungsversuche, die beinahe schon aufgesetzt wirken.
FAZIT: Nicht die Veränderung der Musik, die Graves' Stimme einbettet, ist das Manko, sondern deren Ausführung. Der Meister kann noch so grandios singen, doch wenn das „Orchester“ diese Gefühle nicht in die Musik transportieren kann, ergibt sich ein schiefes Gesamtbild.
<b>8 von 15 Punkten</b>
Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.02.2011
Kristoffer Gildenlöw
Devon Graves
Arne Schuppner
Demi Scott
Johanne James
Devon Graves (Querflöte)
InsideOut
57:24
19.11.2010