Onkel Lothar, erzähl mir eine Geschichte! - Ok, mein Junge, geh und hol dein Märchenbuch! - Nein, nein, keine von denen. Eine wahre Geschichte. - Eine wahre Geschichte? - Ja, erzähl mir etwas aus der Zeit, als Du ein kleiner Junge warst. – Nun gut, dann werde ich dich einen langen Weg zurück in die Vergangenheit mitnehmen müssen.
Es war einmal ein kleines Rumpelstilzchen namens Warlord Nygard. Der wollte unbedingt ein großer Heavy-Metal-Musiker sein. Also gründete er eine Band mit Namen TURISAS. Doch es reichte ihm nicht, einfach nur Musik zu machen. Also schminkte er sich komisch, setzte sich komische Masken auf, zog komische Kostüme an und nannte das komischerweise „Battle Metal“.
Damit war der Warlord durchaus erfolgreich, doch reichte ihm das nicht. Eines Tages saß er mit seinen Freunden in einer dunklen Schänke, tief im Wald, und sinnierte darüber, dass es ihm nicht mehr reichen würde, ein Metal-Musiker zu sein. „Verdammt, ich will das größte Album der Welt aufnehmen“, rief er mit fester Stimme in die Spelunke. Die Einäugigen, Blinden und Versehrten, die rings um ihn herum saßen und ihr trübes Bier tranken, lachten. „Du? Das größte Album der Welt? Niemals!“, spotteten sie, und so beschloss der Warlord, es ihnen allen zu zeigen. „Ihr werdet es schon sehen“, dachte sich der tapfere Ritter und zog von dannen, im Gepäck seine TURISAS-Mitstreiter.
Bald schon kamen sie an ein Schloss, wo ein bekannter Künstler namens Walt Disney wohnte. „Mach auf, Du Feigling“, rief der Warlord, „gib mir all Deine bösen Comic-Figuren, ich brauche sie als Inspiration!“. Seine Mitstreiter rasselten zur Unterstützung dieser Forderung mit ihren Morgensternen und Ketten, doch Walt Disney ließ sich davon nicht einschüchtern. „Hier, das könnt ihr haben, ihr dreckigen Taugenichtse, und jetzt verschwindet von hier!“, schrie er ihnen von seinem Schloss herab; über die Zugbrücke trappelte ein Reh – Bambi war der Name. „Nun gut, besser als nichts“, dachte sich der Warlord, und nahm Bambi mit. Hervorragend gelaunt zog die Gruppe weiter.
Schon am nächsten Tag kamen sie an ein Studio, wo der berühmte Produzent James Horner sein Domizil hatte. TURISAS rühmten James Horner für seine opulenten Soundtracks, die er für viele Filme produziert hatte. „Öffne uns dein Studio und lehre uns, die Instrumente richtig zu bedienen“, forderte der Warlord. Leider war der Hausherr gerade mal auf Klo, und weil TURISAS so wenig Zeit hatten, schauten sie stattdessen kurz bei Youtube, wie man so einen Soundtrack produziert. Gut gelaunt zog die Gruppe weiter.
Da kamen sie an ein großes Theater, wo gerade ein neues Musical einstudiert wurde. „Lasst mich zuschauen, ich mag mich an euren großen Melodien berauschen“, herrschte der Warlord die Anwesenden an. Leider hatten die Musical-Darsteller schon ihre tarifliche Höchsttanzdauer erreicht, so dass sie ihre Künste nicht mehr darbieten konnten. Stattdessen schlüpften TURISAS in die ausgestellten Kostüme und hüpften ein wenig unbeholfen über die Bühne. Das ging drei, vier Minuten gut, dann verlor der Warlord die Lust und scheuchte seine Mitstreiter von der Bühne. Missmutig zog die Gruppe weiter.
Sie passierten einen Hafen, wo ein grauhaariger Mensch mit Pudelfrisur und tief hängender Gitarre sowie ein kaum des Englischen mächtiger Pizzabäcker den Warlord ansprachen. „Können wir etwas für dich tun, mein Herr?“, fragten Pudel und Pizzabäcker, doch wollte sich der Warlord nicht mit ihnen einlassen. „Verschwindet, ihr Irre“, presste der Warlord hervor. „Reitet den Sturm, oder durchquert die verwunschenen Wälder, denn ihr seid böse bis auf die Knochen!“ Unbemerkt jedoch schafften es der Pudel und der Pizzabäcker, dem Warlord einen USB-Stick in die Tasche zu stecken, auf dem einige Stückchen „Musik“ enthalten waren. Genervt zog die Gruppe weiter.
Kurz vor Ende ihrer Rundreise schließlich trafen sie auf einen traurig dreinschauenden, stillen Mann, der ihnen zwar vorheulte, dass er vor langer Zeit seine große Liebe, eine Frau mit klassisch ausgebildeter Stimme an einen „Südländer mit schlechten Absichten“ verloren hatte, doch waren dem Warlord Gerüchte zu Ohren gekommen, dass der traurige Mann seinen Urlaub gerne auf griechischen Inseln verbrachte und auf Konzertreisen besonders gerne in Köln auftrat. Der Warlord vergötterte diesen Mann, und so fragte er ihn ganz höflich, ob er denn nicht ein paar Inspirationen für seine neue CD haben könne. „Ach, ich bin kein Wunschmeister“, seufzte der traurige Mann, „aber sehet dort drüben, dort hat mein alter Schäferhund meinen Papierkorb mit den Ideen der letzten 15 Jahre auseinander gerissen. Die Ideen waren allesamt zu schlecht, doch vielleicht findet ihr noch 1, 2…“ Der Warlord hörte schon gar nicht mehr hin, sondern rannte geifernd zu den traurigen Resten des Papierkorbes. Wo einst opulente Notenarrangements für Orchester, Chöre und Gitarren standen, waren nur noch zerfetzte Reste und Schäferhundsabber zu sehen. „Egal, das mag mir reichen“, dachte sich der Warlord.
In seinem stillen Kämmerlein schließlich schmiss der Warlord Bambis Exkremente, das Youtube-Video, die geklauten Kostüme, den USB-Stick mit der komischen Muik („Kann ja auch nicht schaden“), die Papierfetzen und Hundesabber in einen großen Topf, fügte noch ein paar Aufnahmen des Männergesangsverein Lahti-Nord, einen Lkw voller Zuckerwatte, einige alte Barbie-Puppen, Papa Schlumpf, Errol Flynn, Kleister und 25 Hektoliter Süßstoff hinzu, presste das Produkt auf CD und nannte es „Stand Up And Fight!“.
FAZIT: Und, Onkel Lothar, war die Band glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende? – Bist Du irre, Junge? TURISAS gingen mit diesem verquasten und hoffnungslos überambitionierten Hybriden aus Phantom der Oper, Braveheart-Soundtrack, Viking/Folk/Power Metal, Mitreisender-zum-Karussel-Aufbauen-gesucht-Musik, Rhapsody/Nightwish/Running Wild, tonnenweise übelsten Kitsch und Ferrero Küsschen glücklicherweise komplett baden. – Onkel Lothar? – Ja, mein Junge? – Beim nächsten Mal nehmen wir wieder mein Märchenbuch…
Punkte: 2/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.02.2011
Hannes Horma
Warlord Nygård
Jussi Wickström
Warlord Nygård
Tude Lehtonen
Violine: Olli Vänskä; Akkordeon: Netta Skog
Century Media
46:19
25.02.2011