Jawoll, jetzt können die Niederländer von TEXTURES und die Franzosen von UNEVEN STRUCTURE gemeinsam eine europäische Pulloverstrickfabrik für progressive Mode aufmachen. Spätestens mit dem Debütalbum der Franzosen ist die Selbstreferentialität des „Djent“ beschlossene Sache (zum Begriff „Djent“ siehe auch: Diskussionen unter den Rezensionen von PERIPHERY oder VILDHJARTA). In gewisser Weise kann man das sogar als Selbstreduktion auf das Formelle betrachten: Wer sich nach unebenen Texturen oder Strukturen benennt und damit die eigene Frickel-Stilart meint, wer also beim Spielen auf die eigenen Finger stiert anstatt in die Welt hinaus, dem fehlt womöglich der Blick für das Übergeordnete.
Nun konnten ja durchaus schon einige Vertreter derartige Vorurteile widerlegen – „Februus“ jedoch fällt das schwer. Es ist eine der ersten von noch vielen zu erwartenden Platten, die eine Übermüdung heraufzubeschwören drohen: Nicht nur klingt das alles viel zu sehr nach TESSERACTs „One“, auch verkommen die erfolgreichen Genrebestandteile, wie etwa Stakkato-Riffs, dem Fernöstlichen entliehene Elektronika und Ambient-Panoramen im Hintergrund, zur offensichtlichen Masche.
Das wird vor allem daran ersichtlich, dass es dem Sextett in der knappen Stunde nicht wirklich gelingt, einen Spannungsbogen zu errichten. Was an dem permanenten Wechsel von Shredding und Growling sowie Clean Vocals und ambientlastigen Vordergründen so „uneven“ sein soll, erschließt sich nur bedingt. Matthieu Romarin gelingt weder beim Growlen noch beim Singen eine nennenswerte Abgrenzung von seinem TEXTURES-Kollegen; ein ähnliches Problem haben die Gitarristen in Bezug auf TESSERACT. So bleibt das Gehör eben weniger beim Stil als vielmehr bei der Dramaturgie hängen, nur hier tut sich eben leider nicht so viel, abgesehen von der Polyrhythmik per se. Das mag bei den Pionieren noch gefruchtet haben, doch selbst hier war ironischerweise meistens in einem Stück mehr Struktur drin als bei den unebenen Strukturalisten auf dem gesamten 56-Minuten-Pamphlet.
Man mag anbringen können, dass eine gewisse Bemühtheit um atmosphärische Dichte zu erkennen ist; anders ist das ätherisch-minimalistische Grollen der Intermezzi „Exmersion“ und „Limbo“ nicht zu erklären. „Plentitude“ beginnt sogar dank Bongo-Percussion wie das aktuelle Experimentalalbum von LUNATIC SOUL, nur nützen diese frischen Spritzer wenig, wenn sie gleich wieder mit der fettigen Schicht aus Allgemeinplätzen überlagert werden, die in Sachen Innovation unangenehme Assoziationen an 08/15-Metalcore wecken - oder an eine Kanalisation voller Ratten, die einer Überpopulation ins Auge blicken.
Gerettet wird das äußere Erscheinungsbild von „Februus“ durch seine Aufmachung: Eine Doppel-CD im schicken Digipak haben Basick Records springen lassen, wobei die Bonus-CD reine Ambient-Spuren abspielt, die den Anspruch auf atmosphärische Dichte nochmals untermauern. Einen echten Mehrwert bietet die Dreingabe natürlich nicht, zumindest aber erfüllt sie ihren Zweck wesentlich besser als die Haupt-CD, denn hier kann man die Augen schließen und sich einfach mal für ein halbes Stündchen in eine Parallelwelt verziehen, ohne dass es einem die berechenbaren Muster menschlicher Präzisionskunst verhageln. So alienesk hätte der Hauptgang gerne auch mal ausfallen dürfen.
FAZIT: Die erste von vielen, die noch kommen werden: Den „Djent“ hat’s erwischt, noch bevor ich mich traue, die Anführungszeichen wegzulassen. Wer selber „inTHALLiDJENT music“ zu spielen pflegt und sich den Erstschlag der Franzosen anhört, dem dürfte die schnelle Sterblichkeit seiner eigenen Stilrichtung schlagartig klar werden. „Februus“ ist souverän zwar, aber gleichförmig, regressiv und über weite Strecken langweilig zugleich. Paradox in Anbetracht des Bandnamens.
Punkte: 6/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.11.2011
Benoit Friedrich
Matthieu Romarin (Lead, Spoken Words), Igor Omodei (Spoken Words)
Jérôme Colombelli, Igor Omodei, Aurélien Perreira
Christian Schreil
Aurélien Perreira (Ambiences), Matthieu Romarin (Percussion)
Basick Records
56:01 + 35:06
04.11.2011