Gäbe es einen Grammy für exzessives Sänger-wechsel-Dich-Spielchen, WHITE WIZZARD wären neben ANTHRAX, ICED EARTH oder ANNIHILATOR sicher ein ganz heißer Kandidat. Nach diversen Hin- und Herwechseleien am Mikrofon hat zwar Wyatt Anderson, der schon das Debüt „Over The Top“ veredelte, auch „Flying Tigers“ eingesungen, ist danach aber wieder ausgestiegen – zum zweiten Mal, so dass er auf der anstehenden Tour von Michael Gremio ersetzt wird, der auch schon sein Vorgänger war. Unter anderem.
Soweit alles klar? Dann kann’s ja losgehen. Wenn man das Ganze positiv bewerten sollte, würde man WHITE WIZZARD als charmant unbedarft bezeichnen. Realistischer wäre man aber eher, wenn man den Terminus „unprofessionell“ verwenden würde. Dazu passt auch, dass auf diversen Online-Band-Profilen wie Facebook oder YouTube noch Material des Vorgängeralbums als „neu“ bezeichnet wird.
So, jetzt aber wirklich zur Musik. Wie schon auf „Over The Top“ machen die Amerikaner gänzlich unamerikanischen Metal, nämlich stark britisch geprägten Stahl der Marke IRON MAIDEN anno 1984. Erfreulich: Während manche Retro-Band doch eher mit angestaubten Arrangements und Songstrukturen daher kommen – ganz zu schweigen von einer rumpeligen Produktion – wirken WHITE WIZZARD durchaus frisch und aktuell, die Produktion tönt vielleicht für den einen oder anderen Hardliner sogar eine Spur zu modern. Musikalisch wandelt der Vierer aber eindeutig auf dem Pfad der wahren metallischen Lehre.
Das tun sie allerdings weitaus weniger zwingend als noch auf „Over The Top“, wo nahezu jeder Song ein Volltreffer war. Ein wenig fehlt der rote Faden auf Album Nummer zwei, ein wenig fehlt aber auch die Unbekümmertheit. Manche Songs plätschern einfach nur vor sich hin, ohne auf den Punkt zu kommen („Flying Tigers“), manche Parts wirken lieblos aneinander geklatscht („Starman's Son“). Es gibt starke Momente wie das epische „Starchild“ oder das dramatisch-flotte „Night Stalker“, doch insgesamt wird das Level von „Over The Top“ doch recht deutlich verpasst – schade drum.
FAZIT: Ob das ständige Hickhack um die Position am Mikro die Band belastet hat, bleibt natürlich spekulativ. Trotzdem: WHITE WIZZARD können deutlich mehr. Vielleicht sollten sich die Jungs mal am Riemen reißen – oder die Musik lieber gleich ganz bleiben lassen. Nicht, dass „Flying Tigers“ schlecht wäre. Wer aber Songs wie „Highspeed GTO“ oder „Over The Top“ kennt, weiß, dass hier deutlich mehr drin gewesen wäre.
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.09.2011
Jon Leon
Wyatt "Screaming Demon" Anderson
Jon Leon, Jake Dreyer, Cory Nagatoshi
Giovanni Durst
Earache
60:50
19.09.2011