Lewis Carroll hatte sicherlich keinen konventionellen Innenausstatter dabei, als er für sein Kinderbuch „Alice im Wunderland“ den Kaninchenbau erdachte. Einen Innenausstatter beziehungsweise Sounddesigner dürften auch A TRUE ROMANCE nicht angeheuert haben: Der nach einer verqueren Mathematik strukturierte Surrealismus Carroll’scher Popkulturgötzen erfährt unter dem durchaus teepartyerprobten Gaga-Titel „The [fierce] Adventures of Jazz the Rabbit“ eine musikalische Umsetzung, die darauf bedacht ist, möglichst viel Gemüse in den Topf zu werfen.
Hoch lebe also der Überraschungseffekt. Im freien Fall fällt es schwer, sich einen übersichtlichen Gesamteindruck zu verschaffen. Links fliegt mal eine alte Standuhr vorbei, rechts ein rosa gepunktetes Sofa. Alles ist entsprechend hergerichtet, damit die Gesundheit des Verstands Risse davonträgt. Die 9 Songs sind so heterogen und indifferent, dass sie ein aussageloses Track-By-Track-Review rechtfertigen würden. Schubladen? Nicht in dieser Kommode; A TRUE ROMANCE entziehen sich der Kategorisierungswut findiger Musikjournaille wie schlüpfrige Würmer, doch rechneten sie nicht mit der Allzweckgeheimwaffe, die unsereins in solchen Fällen immer herausholt: Nennen wir es doch einfach „Crossover“.
Tatsächlich trägt die selbsternannte Gummizellenmucke deutliche Züge des 90er-Jahre-Querbeets, auf dem Grunge, Funk und Rock einst miteinander kollidierten und auf dem „Jazz the Rabbit“ nun auch seinen Ausgang genießen darf. FAITH NO MORE, JANE’S ADDICTION und die RED HOT CHILI PEPPERS haben da offensichtlich große Freude miteinander. Gemeinsam erfreut man sich daran, wie die BEACH BOYS beim Surfen einen Bauchklatscher machen. Billy Garziadei (BIOHAZARD) sorgt dafür, dass der Spaß auch authentisch wirkt – seine Produktion ist ein einziges, saftiges „Fuck Off“ mit schönem Gruß ans Konsumentenohr. Sänger Claus Schwarz spielt sich die Rolle eines Teilsplitters aus Mike Pattons Gesangsrepertoire zu, mit dem er weitestgehend die einzige Konstante auf dem Album stellt, andererseits aber auch seinen Spökes treibt: Das gepresste Gequäke auf „Radio“ treibt den Spaßfaktor in unerhörte Höhen, gerade in Kombination mit dem herrlich bierernst vom Stiefel gelederten Riff, und wenn der Hund auf „Smash The Steps“ bellt und die Schlümpfe in den Chor einstimmen, sind die Kittelmänner nicht mehr fern.
Das Riff per se ist in diesem Hasenabenteuer weniger Antriebsmotor als vielmehr unerwarteter Tand, der hinter der nächsten Ecke alles in ein anderes Licht stellen kann, wenn man sich vom Funk zuvor zu sehr hat einlullen lassen. Härte, die endlich wieder überrascht. Aus welchem Zylinder die Piepmätze übrigens ursprünglich stammen, erfährt man durch die EP „Oasis“, die dem Album in Form von Bonustracks angehangen wurde. Hier regieren konventionellere, metallastigere Kompositionen mit Growls und allem, was dazugehört. Dass die harten Riffs inzwischen dezentere Akzente setzen, verdient durchaus eine Daumen-Hoch-Plakette.
Problematisch ist allenfalls, wie einfach der wirre Plan im Gesamten letztlich doch durchschaut ist. A TRUE ROMANCE erzwingen die Schrägheit mitunter, anstatt einfach von Natur aus schräg zu sein. Der Zaunpfahl ist des Patienten liebste Waffe, und wann immer er damit auf seine Wandpolster einprügelt, fragt sich der Beobachter durch das Guckfenster, ob der Anfall nun ein Zeichen echter Geisteskrankheit ist oder doch nur gespielt. Letzteres wäre selbstredend eine Enttäuschung; sicher kann man sich seiner Sache aber nicht sein (immerhin treten die Herrschaften ja auch als Hasen verkleidet live auf), deswegen behält das Album trotz oder auch gerade wegen seiner zweifelhaften Passagen bis zum Ende seinen Reiz.
FAZIT: Der unbändige Wille zur Andersartigkeit lässt das Album zum Teil etwas holpriger wirken als es die Kompetenzen der Musiker erlauben würden. Andererseits macht die berechenbare Unberechenbarkeit nach Eingewöhnungsschwierigkeiten eine Menge Laune, auch gerade weil A TRUE ROMANCE nicht nur sich selbst nicht ernst nehmen, sondern den Zuhörer genauso wenig. Mit derartigen Gleichstellungsmerkmalen gewinnt man Fans.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.11.2012
Michael Schorpp
Claus Schwarz
Jürgen Schafknecht
Michael Schorpp
Eigenproduktion
41:56
19.10.2012