Manchmal muss man brutal sein …
Trotz allen noch so „intellektuell“ erscheinenden Hörgewohnheiten!
Trotz allen progressiven Jazz- und jazzigen Prog-Erfahrungen!
Trotz allen „abgefahrenen“ Musik-Ideen, die man so locker-lässig als zappaesk bezeichnet.
Nicht immer ist wirklich alles Gut, was man in dieser Trotz(igen) Beschreibung gerade zu lesen und bei BALLROGG zu hören bekommt.
Versuchen wir es also völlig anders:
Willkommen für alle Filmfreunde in der Welt eines gewissen PETER GREENWAY, der für sich in Anspruch nahm, seine besten Verfilmungen von einem der wohl außergewöhnlichsten Komponisten musikalisch umsetzen zu lassen. Dem Engländer MICHAEL NYMAN!
(Eigentlich wollte ich meine Kritik mit genau diesem Satz beginnen, doch nach dem mindestens zehnten Hördurchgang entschied ich mich dann doch für meine „Brutalo“-Einleitung!)
Kurz nach dem Mauerfall hatte ich mir für ein Heidengeld eine in schwarz gehaltene, fast bedrohlich wirkende Box gekauft, auf der in Goldschrift eingraviert „The NYMAN/GREENWAY Soundtracks“ zu lesen war. In ihr befanden sich die vier kongenial von NYMAN vertonten Filmmusiken zu den GREENWAY-Filmen „The Draughtman's Contract“, „A Zed And Two Noughts“, „Drowning By Numbers“ & „The Cook, The Thief, His Wife & Her Lover“. Und ich gestehe hier ganz offen, dass dieser NYMAN für mich recht außergewöhnlich und unvergleichlich klang. Unvergleichlich bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ich plötzlich und unerwartet die „Cabin Music“ von BALLROGG in der Hand hielt.
Elektronik, die auf kammermusikalische Avantgarde trifft, um mit Double Bass, Saxofon, Klarinette, Pedal Steel & akustische Gitarre sowie einem Banjo auf ihre audiophile Reise durch die Boxen- und Kopfhörer-Membranen geschickt wird. Das ist kein Jazz. Das ist kein Post-Rock. Das ist kein Kraut-Rock. Das ist kein psychedelischer Musik-Tripp. Das ist keine Film-Musik. Das ist auch kein einschläfernder „Donnerstagnachmittag“-BRIAN ENO-Ambient.
Nein!
Das ist von allem etwas!
Doch irgendwann nahm mich dieses Album nicht mehr mit in seinen „Film“ - denn es blubberte auf die Dauer zu ruhig vor sich hin, so als würde man den Geschlechtsakt von einem Rentner-Ehepaar verfilmen und -tonen wollen, die nicht so richtig in Fahrt kommen, obwohl dieser ihnen noch immer echtes Vergnügen bereitet! Die beiden haben zwar viel Freude an dem, was sie da treiben, aber es kracht einfach nicht so richtig – ist alles eher in Zeitlupe. Bitte verzeiht mir diesen Vergleich, aber er kam mir nur in den Sinn, weil ich auch mit dem so hoch angepriesenen Film „Wolke 9“, dessen Besonderheit angeblich in der hemmungslosen Darstellung der Sex-Spiele älterer Menschen liegen soll, nichts anfangen kann. „Cabin Music“ wäre die passende Filmmusik dazu. Verhalten, aber gewagt!
„Fireplace“ dagegen ist als letzter Song des Albums von einem anderen Kaliber. Fast logisch erscheint hierbei die Tatsache, dass während der achtminütigen Laufzeit durchgängig ein Feuer knistert, das offensichtlich eine Lagerfeuer-Atmosphäre verbreitet. Dazu gibt’s jede Menge Loops, die eine nächtliche, etwas beängstigende Stimmung aufbauen, während durch die Blasinstrumente dargestellte Quälgeister, wie Mücken und Brummer, auftauchen. Die anderen Instrumente aber erheben sich gegen diese Störenfriede und setzen zu deren akustischer Vertreibung an. Ein seltsames, manchmal quälendes Stück musikalischer Natürlichkeit. Auch wenn das Haschisch-Pfeifchen an diesem Feuer garantiert seine Runde macht.
FAZIT: Wenn PETER GREENWAY demnächst nach seiner letzten seltsamen (für mich befremdlichen) REMBRANDT-Verfilmung „Nightwatching“ mal wieder auf mordende Köche oder andere Berufsgruppen zurückgreift, die ihren fremdgehenden Frauen den eigenhändig geschlachteten und gut zubereiteten Liebhaber zum Nobel-Dinner bei Kerzenschein vorsetzen, dann darf der walisische Filmemacher auch gerne mal zur musikalischen Untermalung seiner cineastischen Meisterleistung auf die drei Norweger von BALLROG zurückgreifen!
Mit etwas mehr Tempo und Experimentierfreude, statt dem einen oder anderen zu sehr in die Länge gezogenen Loop, sind sie garantiert eine musikalische Idealbesetzung.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.08.2012
Roger Arntzen
Ivar Grydeland (Pedal Steel, Akustische Gitarre, Banjo)
Klaus Ellerhusen
Klaus Ellerhusen (Saxofon, Klarinette)
Hubro
35:41
06.06.2012