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Baroness: Yellow & Green

Stil: Experimental Rock

Cover: Baroness: Yellow & Green

Gelb. Klar. Die Grundfarben sind damit durch. Aber im gleichen Atemzug auch noch grün? Wer hätte diese Frechheit für möglich gehalten? Gestatten: Yellow & Green, Double Feature – jetzt wird gemischt.

Die Synästhesie der BARONESS-Platten, die bislang eindeutig „rot“ oder „blau“ klangen, wird mit dem neuen Doppeldecker kategorisch betrachtet vor neue Herausforderungen gestellt: Wie soll man damit umgehen, dass es diesmal zwei Farben zu dechiffrieren gilt? Wie gliedert sich Grün als erste Mischfarbe ein? Welche Rolle spielt das Blau, Hauptdarsteller auf dem Vorgänger und diesmal am Grünen beteiligt, als einziger Fremdkörper auf der ansonsten reinen Dominanz des Gelben? Fragen über Fragen, denen BARONESS mal wieder mit einer kompletten Umwälzung von allem Bekannten antworten. Frank Zappa hat einfach mal Recht, wenn er behauptet, über Musik zu schreiben sei wie zu Architektur zu tanzen – es gilt hier schließlich zu beschreiben, welche neuen Fässer BARONESS anschlagen. Das kommt einem architektonischen Tanz durchaus nahe.

So viel jedenfalls sei in Stein gemeißelt: Für Puristen ist „Yellow & Green“ von der ersten Minute an eine hassenswerte Angelegenheit. Wehe dem, der schon auf Blau nicht zurechtkam; mit dem umjubelten Rot ist es endgültig vorbei, geschweige denn mit dem schleifenden Sludge der EPs. Hippieeske Gerüste türmen sich auf, Blumenwerk regnet auf Babyeinschlafliedgut nieder („March To The Sea“), interpretiert mit Stonergitarren und Höhlenmenschgesang. Das Schlagwerk blecht in Marschroutine und wird von Percussion begleitet, die dem Ohr grieselige Räusche verpasst. Die MASTODONs, die zuletzt „The Hunter“ genummersichert haben, staunen bestimmt nicht schlecht, was man aus Geröll so alles formen kann. Wo sind sie, die befürchteten Lückenfüller, die man bei so viel neuem Material befürchtet hatte? Es gibt sie nicht, nicht einmal als hypothetische Option. Die Atmosphäre ist ähnlich dicht wie auf CRIPPLED BLACK PHOENIX’ „(Mankind) The Crafty Ape“ – wie käme man da auch nur auf den Gedanken, ein Puzzleteil zu entfernen.

Layer über Layer legt sich frei, je öfter man sich durch die Wellen wühlt. Klingen Gelb und Grün anfangs noch wie aus einem Guss, legen sich später die fein gesponnenen Unterschiede frei, jeweils angeführt von den „Themes“. Das „Yellow Theme“ hätte in der Tat auch „(Mankind) The Crafty Ape“ eröffnen können, denn im ambience-like wabernden Sternen- und Unterwasserseegang wird man auf ein Monster von Album eingestimmt, dessen Hauptbeschäftigung es ist, selbst die kühnsten Erwartungen zu brechen. Der „Yellow“-Abschluss „Eula“ ist dann eine Gitarrenballade, die in Sachen hypnotische Gesangslinien auf dem gleichen Level spielt wie Mankind’s „Operation Mincemeat“.
Das grüne „Theme“ wiederum erzeugt zwei Stimmungen – einmal die SIGUR RÓS-Happytime, zu der man gerne friedlich wegdösen möchte, aber auch eine zweite: Schiefe Streicher nämlich, die der Seligkeit einen Strich durch die Rechnung machen. Und dann erheben sich die Gitarren zur kraftvollen Hymne; doch die unheilvollen Streicher lassen sich nicht ganz vertreiben.

Auch sonst wissen BARONESS die Nuancen zwischen gelb und grün auf den beiden Seiten ihrer Veröffentlichung hervorragend für sich zu nutzen. Sie kreuzen bevorzugt simple Stoner- und Punk-Akkorde mit einer vielseitigen Produktion und entfernen sich damit vom geschlossenen Gesamteindruck der Vorgänger, was einen Quantensprung zur Folge hat. Klassische Stileinflüsse, die BARONESS auch früher schon verarbeitet haben, finden sich in veränderten Anteilen erneut wieder: Psychedelic, Bluegrass, Folk, Hardcore. Punk ohnehin durch die Formierung aus JOHNNY WELFARE AND THE PAYCHECKS. Der Gesang, der gegenüber der Konkurrenz manchmal als Schwachpunkt ausgelegt wird, dürfte die Gemüter nun endgültig spalten, erfährt er doch durch die kräftigen, schunkelartigen Refrains besondere Betonung, zumal er in mehrstimmigen Chorälen geradezu zelebriert wird. Neben ihm bauen sich jedoch gleichberechtigt überlappende Effekte auf. „Collapse“ beispielsweise klingt, als würde im Vorgarten nebenan gerade jemand daran arbeiten, ein Raumschiff zum Starten zu bringen, während BARONESS in ihrer Garage fröhlich musizieren. Mal dominiert auch ein fuzziger, noisiger Sound, dann wieder hört man jedes Zupfen der Saiten kristallklar heraus (vgl. „Stretchmarker“ und „The Line Between“). Ein permanentes Wabern und ein immer im Wechsel begriffener Charakter umgibt die Stücke – darin liegt wohl das Geheimnis, weshalb es trotz der beachtlichen Laufzeit zu keinem Zeitpunkt langweilig wird.

Aber: Man muss sich mit viel Aufwand reinarbeiten. Erste Ausschnitte klangen wegen der hellen, blechernen Stimmung seltsam fehlgesteuert, auch der erste Komplettdurchlauf vermittelte ein vollkommen falsches Bild. Bevor man die vielen Schichten auseinander genommen hat, sind schnell mal sechs, sieben Rotationen vergangen. Die Qualität entblättert sich dann darin, dass trotz des wahnwitzigen Aufwands, der erst mit der Zeit sichtbar wird, keine Ideen verarbeitet wurden, die nicht zu Ende gedacht worden wären.

FAZIT: „Yellow And Green“ ist das mit Abstand ideenreichste, komplexeste, vielfältigste, reifste, mutigste, aber auch streitbarste Album BARONESS’ geworden. Wenn das „Red Album“ die Konsensplatte war (wobei Konsens = rockt²) und „Blue Record“ der freche Eroberer mit Widerhaken, ist „Yellow & Green“ möglicherweise ein Gift und Galle spuckender Spielverderber. Eine Herzchen-Garantie gibt es jedenfalls nicht. Die Amerikaner haben sich rapide entwickelt, da muss man als Hörer erst mal mitkommen, und vor allem: mitkommen wollen. So gilt auch: Der wahre Wert dieser Platte wird sich wohl erst in ein paar Jahren zeigen. Bis dahin gibt es 13 Punkte – mehr nur deshalb nicht, weil auch andere Gruppen wie CRIPPLED BLACK PHOENIX jüngst ähnlich beeindruckend Genregrenzen verschoben haben. Der Pionierseffekt bleibt also aus, nicht aber die plättende Wirkung dieses Doppelhammers.

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.07.2012

Tracklist

  1. CD 1:
  2. Yellow Theme
  3. Take My Bones Away
  4. March To The Sea
  5. Little Things
  6. Twinkler
  7. Cocainium
  8. Back Where I Belong
  9. Sea Lungs
  10. Eula
  11. CD 2:
  12. Green Theme
  13. Board Up The House
  14. Mtns. (The Crown & Anchor)
  15. Foolsong
  16. Collapse
  17. Psalms Alive
  18. Stretchmarker
  19. The Line Between
  20. If I Forget Thee, Lowcountry

Besetzung

  • Bass

    Matt Maggioni

  • Gesang

    John Baizley, Peter Adams

  • Gitarre

    Peter Adams (Lead), John Baizley (Rhythmus)

  • Schlagzeug

    Allen Blickle

Sonstiges

  • Label

    Relapse Records

  • Spieldauer

    40:57 (CD 1) + 35:53 (CD 2)

  • Erscheinungsdatum

    20.07.2012

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