Manchmal ist Musik eben keine abstrakte Schönheit, die man aus sicherer Entfernung goutiert, sondern ein aufdringlicher, terrorisierender, unberechenbarer Bastard, der dir direkt im Nacken sitzt. CAKEWALK sind wieder so ein Fall: Mit ihrem Debüt „Wired“ begibt man sich auf einen schizophrenen Paranoia-Trip, der mit seinen intensiven, akustischen Close-Ups alten Schwarzweiß-Experimentalfilmen von Frederico Fellini oder Roman Polanski ähnelt. Und ganz nebenbei lässt sich auch noch nacherleben, wie sich die Briten vor Jahrzehnten gefühlt haben müssen, als sie den Krautrock für sich entdeckten.
Drei Norweger sind es, die als CAKEWALK für Hubro, das Label mit dem Uhu, Krach machen. Von den akustischen Schallwegen her eine ideale Aufteilung, denn bei Einlegen der CD rumpelt jeweils einer mittig in jedes Ohr und ein Dritter steht bedrohlich hinter dem Rücken. Kopfhörer? Hat diese Platte nicht einmal unbedingt nötig, denn selbst ohne Direktkanalzufuhr spinnt „Wired“ einen unheimlichen Kokon um den Hörer, der fortan für 30 Minuten von der Außenwelt getrennt ist.
Und das geht so: Die Gitarre fixiert das Opfer – ihre repetitiven Ellipsen hypnotisieren es und hindern es daran, sich von der Stelle zu bewegen. Die Synthesizer-Drones kapseln parallel dazu sämtliche Außengeräusche ab, so dass externe Ablenkungen gar nicht erst stattfinden. Stattdessen ist man erfüllt von wabernden Klanggeweben, die aus weiter, weiter Ferne stammen. Und dann beginnen die Drums zu wirken. Die Infusion steigt direkt ins Gehirn, das sämtliche Extremitäten sogleich zu unkontrollierten Reflexen auffordert.
Nehmen wir nur „Glass“ – hier pluckert die Elektronik wie ein stetig fließender Bach, und KLAUS SCHULZE grüßt zwischen den Zeilen. Aus dem Titel wird Lautmalerei, denn eine Unplugged-Version nur mit Gläsern gespielt wäre hier für ein Live-Konzert eine verdammt interessante Alternative ohne nennenswerten Informationsverlust. Insbesondere das feine Tak-Tak-Tak-Beckenspiel simuliert praktisch die Rädchen im Getriebe einer Glasmaschine. „Descent“ lebt von einem Riff, das – man kennt es von BORIS & Co. – permanent wiederholt wird und dabei mit jedem neuen Aufbau leicht variiert. Das düstere Riff sowie die Atmosphäre, in die es eingebettet ist, erinnert dabei ein wenig an BLACKFILM. „Soil“ kommt gänzlich atonal daher und ist ein Experiment mit Drones, die vorzugsweise aus verzerrten Becken gewonnen wurden. Diverse andere Soundeffekte und kurze Klangcollagen lassen den Eindruck entstehen, dass ein verunsicherter Protagonist sich langsam durch einen permanent der Veränderung ausgesetzten Raum bewegt. „Perpetual“ hätten Steven Wilson und Mikael Akerfeldt sicherlich gerne als hektisches bis psychedelisches Medley auf „Storm Corrosion“ willkommen geheißen, hätte man dem Schlagzeug mehr Bedeutung zumessen wollen, denn das steigert sich so langsam aber sicher in einen Rausch.
„Wired“ macht weiter mit elektronischem Avantgarde-Jazz pur und das Schlagzeug, das sich im Vorgängerstück zum Grande Finale hin aufbaute, drischt hier mit reinster Freude am Chaos von Anfang an los in einer Vielseitigkeit, die es endgültig zum Highlight der Platte erlebt. Selbst auf „Kammer“ rückt einem das Trio nicht vom Pelz. Und wie aus dem Nichts ist der Zauber vorbei, die Kuppel aufgelöst, der Kontakt zur Außenwelt wieder hergestellt.
FAZIT: Wenn sich der letzte Ton trocken und ohne Nachhall verflüchtigt hat und der milchige Schleier auf den Augen von hier auf jetzt verschwunden ist – nicht wundern, wenn jemand wie Ochs am Berg bei Euch im Zimmer steht und Euch doof anstiert. Ihr seid nämlich mal eben ein halbes Stündchen ganz woanders gewesen und kein Rütteln oder Schnipsen konnte Euch zurückholen.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.08.2012
Stephan Meidell
Stephan Meidell
Ivar Loe Bjørnstad
Øystein Skar (Synthesizer)
Hubro
30:47
21.05.2012