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Reviews

Chris: City Of Light

Stil: Steriler Progressiv-Rock voll unterkühlter Elektronik

Cover: Chris: City Of Light

Die „Stadt aus Licht“, in welcher der holländische Multi-Instrumentalist CHRISTIAAN BRUIN unser musikalischer Oberbürgermeister ist, lädt nicht gerade zum Bleiben ein. Denn dieses Licht ist nicht natürlich, sondern reines Kunstlicht. Da flackern höchstens ein paar Neon-Röhren mit ein paar Energiesparlampen und kalten LCDs um die Wette.

„City Of Lights“, das dritte CHRIS-Album, suhlt sich regelrecht in synthetischen Klängen und überdimensionalem Bombast. Dabei bietet das Konzept des Albums so viele Möglichkeiten, einen warmen Sound zu schaffen. Es geht um die Suche nach dem „versprochenen Land“, in dem Gefühle und Schönheit und Wärme wichtiger sind als Statistiken, Lügen und Macht. Fast ein Album, das von der Thematik her an den Rückzug der Romantiker in die Natur erinnert, die für sie plötzlich in den Zeiten der immer stärkeren Industrialisierung ganz wichtig geworden ist. Nur CHRIS tritt diesen Rückzug nicht mit einem Fahrrad oder zu Fuß an – nein, er wählt einen High-Tech-Bagger und walzt damit unzählige kleine Musikpflänzchen nieder.

Ruhig, verhalten und erwartungsvoll beginnt das Album auf „Colours Come To Life“, um ganz schnell mit elektronischen Drum-Sounds kaputt gemacht zu werden. E-Gitarren leiten dann zum Gesang und einem Rhythmus über, bei dem man glaubt, MICHAEL JACKSON hätte aus himmlischen Sphären zu Chris gesprochen: „Mach doch mal was, mit 'nem bisschen 80er-Disco-Feeling, das mal wieder an mich erinnert – musst ja nicht so tanzen wie ich früher. Kannste sowieso nich'!“ Und unser Chris macht – und wie. Damit's aber nicht zu peinlich wird, zerhackt er einzelne Stellen, als würde er sie durch einen Schredder jagen, wo oben Gitarre und Keyboard rein und unten Bombast raus kommt. Und ewig trommelt der Drum-Computer, sodass man spätestens bei „Blessings And Goodbyes“ den Stecker ziehen möchte.

Höhepunkte gibt es selten und wenn, dann immer in den Momenten, in welchen Chris sich von seinen ganzen elektronischen Klangerzeugern verabschiedet und auf akustische Gitarren oder das Piano zurückgreift. Das passiert viel zu selten oder wirkt in gewissen Passagen sogar befremdlich, wenn er beispielsweise den akustischen Instrumenten auf „Stars Align“ (s)eine elektronisch verfremdete Stimme gegenüberstellt. Und wieder trommelt das Steckdosen-Männchen, während nach gut 4 Minuten NEAL MORSE eine deutliche Huldigung erfährt. Am Ende wirkt die ganze Geschichte bei „The Sky Falls Down“ nur noch lustig. Da fällt einem nicht der Himmel auf den Kopf, sondern Plastik-Keyboard-Sounds verkleistern einem die Ohren, während E-Stimmchen säuseln und man sich sehnsüchtig doch wenigstens ein paar Gitarrenklänge zurückwünscht. Der Wunsch wird nicht erfüllt, dafür gibt’s aber 'ne gehörige Prise Keyboard-Streicher als Ausgleich. Danke! Spätestens jetzt ziehe ich aus der „City Of Light“ aus. Mir ist's hier zu hell. Zu kalt. Zu künstlich. Zu synthetisch. Zu bombastisch.
Wann wird’s in dieser Stadt denn endlich richtig dunkel?
Wann leuchten mal die Sterne?
Wann versteckt sich jemand auf der dunklen Seite des Mondes?
Gibt's hier auch ein warmes Fleckchen?
Nichts von alledem. Dafür gibt’s aber als Alternative auf „Upside Down“ sogar noch Trip Hop, kombiniert mit Cello und „metallisch verfremdeten“ Gesang, zu hören.

Betrachtet man die vielfältigen musikalischen Einflüsse, die sich in „City Of Light“ vereinen, wird man sicher neugierig. Nur die Umsetzung dessen, was uns hier aus den Boxen entgegenschlägt, ist, trotz aller artrockigen, neo- und retroprogressiven Einflüsse, stellenweise komplett inakzeptabel, was der viel zu intensiven Hinwendung des Holländers zum techn(okrat)ischen Aspekt der Musik geschuldet ist.

„Nowhere To Go“, der abschließende Longtrack, ist dann der letzte Beweis für meinen Eindruck. Als akustische Ballade angenehm beginnend, wird der Song am Ende wieder dieser elektronische Disco-Nebel, in dem wir verschwinden, während uns der hämmernde Drum-Computer jagt und fiepsige Keyboard-Töne den Weg ins musikalische Nirgendwo weisen, aus dem uns am Ende auch die IQ- und GENESIS-Verweise nicht mehr zu retten vermögen.

FAZIT: Aller guten Dinge sind drei! Das gilt leider nicht für dieses dritte Album des hoffnungsvollen, progressiven holländischen Multi-Instrumentalisten, der sich auf „City Of Light“ mehr von seinem elektronischen Instrumentarium gefangen nehmen lässt, als dass es ihm gelingt, uns Hörer gefangen zu nehmen.

Punkte: 5/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.11.2012

Tracklist

  1. Colours Come To Life
  2. Blessings And Goodbyes
  3. Stars Align
  4. The Sky Falls Down
  5. Upside Down
  6. Nowhere To Go

Besetzung

  • Bass

    Christiaan Bruin

  • Gesang

    Christiaan Bruin

  • Gitarre

    Christiaan Bruin

  • Keys

    Christiaan Bruin

  • Schlagzeug

    Christiaan Bruin

Sonstiges

  • Label

    Progress Records

  • Spieldauer

    46:07

  • Erscheinungsdatum

    28.09.2012

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