Stimmen, die den altgedienten Schotten immer noch vorwerfen, sie seien GENESIS-Widergänger, sollten mit diesem sechsten Album im Ohr allmählich verstummen. CITIZEN CAIN haben an Härte zugelegt, sodass einzig Cyrus' Stimme an den jüngeren Peter Gabriel erinnert.
„Skies Darken“ ist dem Titel entsprechend ein finsteres und mitunter auch anstrengendes Werk geworden. Die Gruppe zeichnet ausgehend vom Mythos um den König Mezentius (unter anderem in Vergils Aeneis) ein kritisches, ja negatives Bild des „blinden“, „eitlen“ und „überheblichen“ Menschen, das musikalisch mitunter fast metallische Züge annimmt. Im eröffnenden „The Charnal House“, das noch kompakt ausgefallen ist, stellt das Trio eingängigem Gesang (der Kindervers über Humpty Dumpty wird aufs Zynischste eingewoben) ein komplexes und klanglich dichtes Fundament gegenüber, das erschlossen werden will. CITIZEN CAIN schlagen Haken und kreieren synthetisch orchestrale Momente, bevor sie im ersten epischen Stück „The Long Sleep“ teils pastorale Landschaften am geistigen Auge vorüberziehen lassen, andererseits aber auch urban theatralisch klingen. Hier greift der Seventies-Vergleich zumindest im Ansatz, aber die drei Musiker spielen hörbar im Hier und Jetzt – inhaltlich ohnehin, indem Cyrus zeitlose Legenden aus dem gesamteuropäischen und östlichen Kulturkreis auf den gegenwärtigen Weltuntergangswahn bezieht.
Dabei hat der Frontmann so viel zu erzählen, dass sich die Gruppe nie in vorhersehbare Frickel-Niederungen hinunterlassen muss; stattdessen ergibt sich die Länge der Stücke aus den reichhaltigen Texten, in deren Hintergrund instrumental eine Menge geschieht. Erst zum Ende des zweiten Stücks hin wagen CITIZEN CAIN schrullige Schwenks stilistischer und struktureller Natur, ohne auf Bombast zu setzen: what you hear is what you get – drei Musiker eben, auch wenn Stewart Bell viel aus seinem Keyboard holt. Live müsste die Band wohl Verstärkung mit auf die Bühne nehmen.
„Darkest Sleep / Manifestations“ erinnert an die avantgardistischen Momente von Peter Hammill. Der Sänger steht wieder im Mittelpunkt, diesmal jedoch vor verspieltem Drumming und zunächst Konserven-Posaunen, dann einem kleinen Orchester. Erst im zweiten Teil des Stücks schreitet das Trio eingedenk geschichteter Vocals auf festem Fundament – hibbeliger Bass nebst Piano – Richtung Himmel. Diese ätherische Anmutung haftet auch dem mit unter vier Minuten kürzesten Stück „Spiders In Undergrowth“ an. Klavier und Gitarre umranken sich in einem sprunghaften Rhythmus, derweil sich Cyrus höhnisch bis nachdenklich über den Fall Luzifers auslässt.
„The Hunting Of Johnny Eue / Trapped By Candlelight“ erzeugt Spannung bis zum Zerreißen und liest sich interessant: Noch einmal verschränkt Cyrus Abzählverse miteinander, fügt die Göttin Artemis und Rotkäppchen hinzu, alldieweil er gemeinsam mit seinen beiden Partnern eine bedrohliche Klangkulisse aufbaut: ruckartige Wechsel zwischen schroffen Stakkatos und wiegendem Keyboard-Prog, rasende Bassläufe und erstaunlich zurückgenommene Gitarren entwickeln im Laufe von zwölf Minuten eine unwiderstehliche Sogwirkung.
Den anschließenden Vierteiler und längsten Song „Coming Down / The Fountains Of Sand / Delivered Up For Tea / Death And Rebirth“ treibt zunächst der Bass. Früh schon setzt der Gesang ein, erweckt abgründige Eindrücke vom Universum in Scherben und konterkariert zugleich die durch Mellotron beziehungsweise Flötentöne teilweise verschmitzt klingende Musik. Diese erstirbt im dritten Teil beinahe gänzlich; allein elektronische Pluckern bleibt, bevor sich Synthesizer-Flächen ausbreiten und passend zur hämischen, aber gediegen vorgetragenen Abhandlung über den Tod Engelschöre ertönen. Den Abschluss bildet eine Sprechpassage, in welcher das leitmotivisch eingesetzte „Liberate tutemet ex inferis“ wiederholt wird (fehlerhaftes Latein für „Rette dich“ oder „euch aus der Hölle“, wahrscheinlich aus dem neueren Sci-Fi-Filmklassiker „Event Horizon“).
Wie friedlich mutet danach die fast herkömmliche Ballade „Do We Walk In The World?“ an … Klavier und Gesang erfahren zum Ende hin aber eine unverhoffte Steigerung, als Protagonist Johnny erkennen muss, dass der Mensch nicht die erhabene Rasse ist, die er in seiner Einbildung zu sein vorgibt.
Im Finale „Lost In Lonely Ghosts“ strengen sich CITIZEN CAIN auf einer rhythmisch vertrackten Startgerade an, bevor sie alles zusammenbrechen lassen und neu aufbauen – ein zähflüssiges Lamento mit Spieluhr-Moment und nachvollziehbarer Tragik angesichts des Scheiterns, das Cyrus im Text anspricht. Zum Ende hin treten die drei Künstler tatsächlich noch den Beweis dafür an, dass sie mit allen virtuosen Wassern gewaschen sind. Stewart Bell, der alle Texte und Töne auf dieser Scheibe zusammengefügt hat, muss spätestens jetzt als zu wenig gerühmter Prog-Held aufs Podest gehievt werden. Heimlich, still und leise ist ihm und seiner Band mit „Skies Darken“ eines der musikalisch und inhaltlich tiefgründigsten Alben der letzten Zeit gelungen. Satthören wird man sich hieran bis zum Jahresende nicht, und das Konzept lädt zum Stirnrunzeln und folglich Nachspüren an.
FAZIT: „Skies Darken“ wird dem Etikett Konzeptalbum gerecht wie keine andere Scheibe, die es trägt. CITIZEN CAIN halten Vergleichen mit den Visionären des Genres stand, spielen hochkomplexe und zugleich emotional greifbare Musik, die häufiger aufrüttelt als verzückt. Das mag nicht der einfachste Weg und nur für bestimmte Stunden vor den Boxen gedacht sein, erinnert aber just an den Beweggrund dafür, dass man dem Genre Progressive Rock einst verfiel.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.05.2012
Cyrus
Cyrus
Phil Allen
Stewart Bell
Stewart Bell
Just For Kicks
73:22
04.05.2012