Wenn eine Band als Ersatzteillager für erfolgsverwöhnte Gruppen wie EVANESCENCE oder KORN herhalten muss, kann sie normalerweise nicht erwarten, dies zu überleben. Nachdem Gitarrist Clint Lowery 2007 mit Jonathan Davis & Co. auf Tour geschickt wurde und Troy McLawhorn und Will Hunt bei Amy Lee anheuerten („We’re just borrowing Will and Troy for a while“), schien sich der Titel des Debüts (von wegen „12 Jahre Stille“) zu bewahrheiten – wer würde in einer solchen Situation noch einen Pfifferling auf den Fortbestand einer Alternative-Rock-Supergroup setzen?
Aber man übte sich in Durchhalteparolen, sendete tatsächlich auch immer wieder kleine Lebenszeichen und siehe da: 2012 ist „New Tradition“ da. Zweimal „New“, einmal von Band- und einmal von Albumtitel wegen, das sind natürlich schon eine Menge Neuigkeiten. Dabei ist man doch von „neuen“ Cokes, „neuen“ Auflagen von Filmklassikern und „neuem“ Metal teils Übles gewohnt… zumal sehr sperrig, ist das nun werbetechnisch so ratsam?
Spaßig daran ist, dass so viel Neues gar nicht serviert wird. Ein Großteil des Materials besteht aus fünf Jahre alten Demos oder noch älteren B-Seiten. Wird hier gerade die Marktlage getestet, während in dieser Sekunde Songs für ein schnell nachzulegendes drittes Album geschrieben werden? Schau’n `mer mal:
Nicht nur aus Supergroup-Gesichtspunkten heraus, auch sonst ist „New Tradition“ von Inhomogenität durchzogen wie das Fleisch eines T-Bones von Fett und Knochen. So richtig weiß der linke Song hier nicht, was der rechte tut; allen gemein ist, dass sie im Pool baden, den schon SEVENDUST, CHEVELLE, STUCK MOJO, 10YEARS, NIRVANA, SEETHER, ALTER BRIDGE, DROWNING POOL, BUTTERFLY EFFECT, BREAKING BENJAMIN, LOSTPROPHETS, (bitte hier beliebige weitere Alternative-Optionen einfügen) benutzt haben. Davon abgesehen wählen die Stücke allesamt autarke Ansätze, die sich mit den Tracklist-Nachbarn nicht so recht vereinen lassen. Singleauskopplung reiht sich da perlenkettengleich an Singleauskopplung.
Das lässt die Platte als Gesamtes zwar unvorhersehbar erscheinen, da man nach drei Rockkrachern nicht zwingend das Gefühl hat: Achtung, gleich ist die Ballade dran. Trotzdem glaubt man, noch während eines jeden Songs ein Radio-DJ-Phantom zu vernehmen, das imaginär schon mal den nächsten Titel ansagt, begleitet von einem flapsigen Kommentar zur aktuellen Verkehrslage.
Man könnte auch sagen: Es schert die Jungs nicht so wirklich, wie die Puzzleteile zusammenpassen, Hauptsache, sie werden veröffentlicht; fast so, als würde man einem Kumpel mal schnell einen Song per Mail rüberschicken und aus dem Zusammenhang heraus fragen, was er denn so grundsätzlich davon hält.
Die Qualität der Einzelteile reicht dabei von seicht bis gehobene Mittelklasse. Es gibt durchaus ein paar Ausrufezeichen zu entdecken, über den eigenen Horizont jedoch schweben die Herren nicht hinaus, vielleicht auch deswegen, weil sie ihre Wurzeln alle im gleichen Areal geschlagen haben, so dass kaum mehr als die Quersumme dieses Areals herauskommen kann.
FAZIT: Ein Graus für Systemfanatiker, die gerne alles aufeinander abgestimmt haben, ein Fundstück eventuell für Sampler-Käufer und Schatztruhenwühler: „New Tradition“ ist ein unaufgeräumtes Spielzimmer, an dessen Wänden Poster von Alternative-Rockbands der 90er und 00er Jahre hängen, und alleine der Trotz der Bandmitglieder und die Unkaputtbarkeit der Band rechtfertigt schon seine Veröffentlichung. Wir warten auf die „richtige“ Nr. 2.
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.03.2012
Corey Lowery
Brett Hestla
Clint Lowery, Bradley Kochmit, Brett Hestla
Will Hunt
Goomba Music
48:52
19.03.2012