Das ist doch nicht zu fassen. Ein studierter Kulturjournalist und freier Autor namens Martin Spieß und der Berufsbarde Sören Vogelsang, laut Auskunft der Homepage Deutschlands erster Musiker, dessen Soloalbum per Crowdfunding finanziert wurde, stecken hinter diesem Machwerk und bekennen sich auch noch öffentlich dazu. Respekt für so viel Mut, meine Herren!
Wer das Mittelalterspektakelunternehmen MPS kennt, der wird in diesem Jahr bereits auf DAS NIVEAU gestoßen sein. Es sank dort.
Jaja, es sank dort aus vollen Hals,
und saß dabei auf einer Kiste Schmalz.
Damit der Reim sich reimt und das Lied sich füllt,
endet auch diese Zeile auf „üllt“.
Haha, lustig, was? Ungefähr auf diesem – verdammt, jetzt käme schon wieder dieses Wort, das die hier zu besprechende Gruppe ohnehin schon alle paar Sekunden ad absurdum führt – Niveau bewegt sich der Humor auf „Volle Album“. Laut ihren Machern ist diese Mischung aus Balladen und Pseudowitzigkeiten Comedy Folk. Das muss einem aber auch mal gesagt werden, woher soll man das sonst auch wissen?
Da sind also zum Einen die niedlichen Hoppelsongs, die tatsächlich an frühe DIE ÄRZTE erinnern, wie der Album-Sticker sagt. Allerdings nicht wie in den 80ern, sondern wie DIE ÄRZTE um fünf Uhr früh. Im Tiefschlaf also. Musikalisch zwar OK, der Gesang ist wesentlich harmonischer als bei unserem Redaktionsliebling Gregor Bewernick, aber was Ideen, Kreativität und Produktion angeht, immer noch meilenweit von der Spitze entfernt. Dazwischen tauchen hin und wieder (nun ja, zwei Mal) 08/15-Mollstücke auf, die ein bisschen nach weinerlichem Engländer klingen, der im Studio über ein Kabel gestolpert und mit dem Knie in der akustischen Gitarre, mit dem Rumpf im Klavier gelandet ist. „Am nächsten Galgen“ und „Und eines Tages“ sind textlich nun nicht die Brecher, sind aber bei weitem nicht so peinlich wie der Rest des Albums und können deshalb zwei Gnadenpunkte gewinnen.
Ansonsten fragt man sich ernsthaft, ob diese beiden sich tatsächlich ernst nehmen oder lustig finden, oder ob sie mit DAS NIVEAU nur möglichst viele lustige Verrisse bei der Presse sammeln wollen. Meiner wird nicht mehr allzu lang, denn jedes weitere Wort ist hier eigentlich Verschwendung. Wo DIE ÄRZTE mit Intellekt glänzen, J.B.O. bisweilen vielleicht platt sind, aber zumindest ab und an einen Treffer landen und A.O.K. sich in Geschmacklosigkeiten suhlen, ist DAS NIVEAU einfach nur doof. Offenbar kann man aber auch mit dem Spielen solcher „Musik“ überleben, auch wenn sich das Duo mehrfach beschwert, als Musiker nichts zu verdienen. Die Ursache für das maue Einkommen liegt für DAS NIVEAU, wenn man dem Text von „Schluss“ glauben darf, daran, dass sie echte, brotlose Künstler sind und unter illegalen Musikdownloads zu leiden haben. Glaubt mir, Freunde, wenn man solche Songs schreibt, muss man keine Angst haben, dass irgendjemand sich diese illegal besorgen will! Ich nehme Euch bei Eurem Schlusswort (bevor am Ende der CD unsägliche Studio-Outtakes aneinandergereiht werden, die Umkleideraumgesprächen in Grundschulen gerade noch das Wasser reichen können): „Wir geh'n arbeiten, weil wir mal wieder was essen wollen/ doch mit Musik ist leider Schluss“
Vorher allerdings lässt man 16 Stücke über sich ergehen. In „Der Blues“ geben die Herren zu Protokoll, länger im Business zu sein als die ROLLING STONES. Ist nicht nur gelogen, ist auch nicht witzig. „Es ist manchmal gar nicht so schwer/ eigene Lieder zu schreib'n“ heißt es in „Barde zu sein“. Das mag stimmen, aber es sagt noch nichts über die Qualität der Stücke aus. Immerhin verzichtet DAS NIVEAU in diesem Fall auf die mehr oder weniger humorige Interpretationsart, ständig mit verstellten Stimmen zu singen. Nur der Text macht, wie so oft, hinten und vorne keinen Sinn. Aber Hauptsache, wir kommen über 70 Minuten Spielzeit.
Und so geht es dahin. Der Zwanzigsekünder „Das ist ein Lied, das so klingt, wie ein Lied von Die Ärzte“ klingt eben NICHT wie ein Lied von DIE ÄRZTE und zeigt, dass hier jemand nicht verstanden hat, worin die feinen Unterschiede beim Musizieren bestehen. Wie immer bei Gruppen solchen Kalibers ist mit „Kunst“ ein Song dabei, der den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen soll: „Manche sagen, es sei Scheiße, wir sagen, es ist Kunst/ Na, na, na, na, na, na, na“ Quod erat demonstrandum. In „Die Eine“ wird die holde Laute, in „Sylvester“ das Superheldentum an sich besungen („Sylvester, oh, Sylvester, du bist nicht gut, nein, du bist besser“), dass das Reimgebälk nur so knirscht, und trotzdem ergibt die Chose einfach keinerlei Zusammenhang. Als hätte man die Textzettel am Stammtisch nach der x-ten Runde Schnaps kreisen lassen und jeder schreibt nur einen Satz drauf, den er danach nach hinten umfalten muss. Und zum Schluss werden noch ein Metal- und ein Rapteil eingebaut, weil das ist ja so komisch, wenn wir noch andere Musikstile parodieren, wo es doch bei Media Markt neulich diese Drumcomputer-Software für nen Zehner gab... Von der extra schräg gesungenen Melodyne-“Werbung“ will ich gar nicht erst anfangen.
Ach ja, und dann muss es natürlich auch infantil werden. „Frischhaltefolie“ hält, was der Titel verspricht, nur: Will man das wirklich hören? Ich rate dringend ab. Haltet Euch das Teil ans Ohr und lauft damit durch die Fußgängerzone, das ist garantiert lustiger! In „Scheiße gelaufen“ geht es, gähn, um Verdauungsprobleme und bei „F***en“ lässt man sich geschlagene sechs Minuten darüber aus, wie verklemmt in der Gesellschaft doch mit dem Thema Sex umgegangen wird. Deshalb vermutlich auch die Schreibweise mit den drei Sternchen. Die seien für DAS NIVEAU aus Berlin hier nachgereicht:
FAZIT: ICK krieg' die Motten! Peinliche Bierzeltmusik wär ja noch OK, aber hier geht es weder rockig, noch lustig, noch in irgendeiner anderen Weise niveauvoll zu. Eingeschlafene Füße treffen auf ein Gehirn in Urlaubsstimmung. Na dann gute Nacht!
Punkte: 2/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.09.2012
Martin Spieß, Sören Vogelsang
Martin Spieß
Eigenproduktion
70:34
30.06.2011