DAVID NESSELHAUFs „The Barrow“ wurde bereits im März veröffentlicht. Und passt dort auch stimmungsmäßig eigentlich besser hin, ans Ende des Winters, zu Beginn eines kalten Frühlings. Egal, tun wir jetzt einfach so, als hätte der Herbst schon begonnen, denn auch dort findet „The Barrow“, das zweite Solo-Album NESSELHAUFs, nach dem 2008 erschienen „Amateur“, ein kuscheliges Plätzchen.
Kuschelig ist die Musik dabei überhaupt nicht. Sie schleicht sich eher hinterrücks an, kalt, nagend; ein wohliges Gefühl stellt sich erst beim Fallenlassen in die kargen und doch atmosphärisch prall gefüllten Klanglandschaften ein. NESSELHAUF fängt einen auf. Vielleicht. Die Kraft der Verlangsamung, fast bis zum Stillstand. Doch nie öde und selbstverliebt. Der Soundtrack zu einem experimentellen Horrorfilm. Das Haus an der Friedhofsmauer beherbergt keinen mordenden Professor Freudstein im Keller mehr, sondern einen somnambulen Clubbesitzer, der seine Ein-Mann-Hausband angewiesen hat, Wiegenlieder für Untote zu spielen. Vereinzelte Klaviertöne, verzerrte Gitarren, Samples, die an einen Fahrstuhl erinnern, der etliche Etagen tiefer als in den Keller fährt.
NESSELHAUF bewegt sich zeitlupenhaft zwischen ambienten Sounds, kammermusikalischem (Free-)Jazz, dunklem Rock, Drones und Klassik, wobei jeder einzelne Ton, jedes gespielte Instrument zelebriert wird. So, als würde es die letzten Augenblicke seines musikalischen Lebens erleiden.
„Eleanor Rigby“ der BEATLES („Hagel“) klingt flüchtig an, freilich reduziert auf den ersterbenden Hauch eines einzigen Cellos. Im Hintergrund oft ein sachtes Dröhnen, oder um einmal mehr einen meiner Lieblingsvergleiche zu bemühen: Es klingt als würde permanent durch ein geöffnetes und vergessenes Ventil Gas ausströmen. Beunruhigend. Und doch gelingt es DAVID NESSELHAUF, den Hörer durch Ansätze zarter Melodien aufzufangen, ihn nicht in deprimierender Stille untergehen zu lassen. Es passiert viel, im Kleinen. Und wie bei jeder gelungenen Kunstform insbesondere dadurch, dass der Rezipient mit einbezogen wird, die Chance erhält, etwas Eigenes, Ganzes aus scheinbaren Bruchstücken zu formen.
FAZIT: Definitiv keine Sommerplatte. Aber ein Fest der Sinne. Wenn die Dunkelheit hereinbricht oder Kaminzeit angesagt ist. Die Muße sich Zeit zu nehmen. Wird immer wichtiger…
Fein: Rezension ist zu Ende, ohne einmal BOHREN & DER CLUB OF GORE erwähnt zu haben. Das benötigt „The Barrow“ auch gar nicht.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 02.08.2012
David Nesselhauf
Enorme Tonträger
43:40
16.03.2012