DIE TOTEN HOSEN haben derzeit ungefähr 1000 gute Gründe, die Korken knallen zu lassen. In diesem Jahr feiern sie ihr 30-jähriges Bandjubiläum mit Wohnzimmergigs und kleinen Clubshows auf der einen Seite und Headlinerslots bei Rock am Ring und Rock im Park auf der anderen Seite. Wenn alles gut geht, dürfen sich Campino und seine Jungs als (Mit-)Retter des traditionsreichen Düsseldorfer Eishockeyclubs DEG feiern lassen und dass die Fortuna morgen Abend den Aufstieg in die Bundesliga gegen die Hertha aus Berlin vergeigt, ist eher unrealistisch. Und dann gibt es ja auch noch das 15. Studioalbum, das vor anderthalb Wochen erschien und sofort auf Platz 1 der deutschen Albumcharts gegangen ist. Was keine wirkliche Überraschung, aber völlig verdient ist.
Das letzte weniger gute Album der TOTEN HOSEN war das zahnlose "Unsterblich", danach lieferten die Düsseldorfer nur noch gehobene Qualität ab und "Ballast der Republik" reiht sich da nahtlos ein. Es ist der perfekte Spagat zwischen dem traditionellen Hosen-Punk und dem erwachseneren Hosen-Rock der letzten Jahre. Es bietet den unverkennbaren Hosen-Sound, das charakteristische Gitarrenspiel von Kuddel und Breiti und die immer wieder schön schwermütigen Melodien, die eine gewisse rheinische Melancholie verbreiten. Kurzum: "Ballast der Republik" hat alles, was das Fan-Herz begehrt. Darüber hinaus ist es perfekt produziert: für den Sound zeichnet sich mit Vincent Sorg ein Meister seines Fachs aus, die nicht minder perfekten Arrangements hat man sich mit Tobias Kuhn erarbeitet. Wobei man hier und da das Gefühl hat, dass die Streicher jetzt nicht unbedingt noch in den Song gemusst hätten. Geschmackssache.
Die Streicher dominieren auch das dramatische Intro "Drei Kreuze (dass wir hier sind)", das ansatzlos in den Titeltrack übergeht, ein klassischer Punkrocker, bei dem anfangs Flamenco-Rhythmus und -Gitarren überraschen. Inhaltlich geht es um die Geschichte unseres Landes in den letzten 60 Jahren. Das Collagen-Artwork nimmt den Gedanken auf und vermischt ihn mit dem Jubiläum der Hosen - hübsches Suchspiel. "Tage wie dieser" war die erste Singleauskopplung aus dem Album. Beim Vorgänger "In aller Stille" wurde mit dem harten "Strom" als Kontrast zum Albumtitel eine so fetzige Nummer gewählt, dass "Tage wie dieser" zunächst einmal verwundert. Der Song ist vergleichsweise ruhig, in den Strophen fragil, im Refrain leicht pathetisch. Je öfter man die Nummer aber hört, desto klarer wird, dass DIE TOTEN HOSEN eine Hymne für die Ewigkeit geschaffen haben. Und jede Wette, dass man den Song bei der anstehenden Fußball-EM noch oft zu hören bekommt. "Traurig einen Sommer lang" dreht sich um den Tod von berühmten Musikern und ist eine lässige Hosen-Nummer der alten Schule.
"Altes Fieber": Gänsehautschauer, Ergriffenheit, Kloß im Hals. Ein schwermütiger Blick zurück. Kitschig? Mag sein. Grandios? Oh ja. Das Spektakel beruhigt sich mit den nächsten Songs dann ein wenig. Die Songs sechs bis neun sind typische Albumtracks, die man vermutlich eher selten live zu hören bekommt, die aber immer noch sehr stark sind und den Abwechslungsreichtum der Hosen im 31. Jahr des Bestehens zeigen. "Schade, wie kann das passieren?" ist der Song, den kein Fan von Fortuna Düsseldorf morgen Abend im Kopf haben will - eine wiederum typische Fußballnummer, allerdings nicht ganz so stark wie "Auswärtsspiel". "Draußen vor der Tür" ist Campinos Song über seinen Vater. Er kommt in der Intensität jedoch nicht an den Song für die Mutter, nämlich "Nur zu Besuch" heran, was jedoch Ansichtssache ist. Trotzdem eine schöne, gefühlvolle Akustiknummer mit anrührendem Text, in der Klavier und Frauenstimme zum Ende hin aber ein bisschen zu viel des Guten sind. Bei "Das ist der Moment" nehmen sich die Hosen das Recht, sich selbst ein bisschen zu feiern - es sei ihnen gegönnt.
Mit "Ein guter Tag zum Fliegen" und "Alles hat seinen Grund" finden sich kurz vor Schluss die zwei verzichtbarsten Tracks des Albums, dazwischen liegt aber "Oberhausen", eine hübsche, ungewöhnliche Liebesgeschichte. In den Endspurt geht es mit "Vogelfrei", einem wieder guten Rocker, der mit cooler Basslinie loslegt und durch seinen Text, in dem es humoristisch um das Totsein geht, zeigt, dass sich mit zunehmendem Alter auch die Gedanken verändern. "Ballast der Republik" zeigt DIE TOTEN HOSEN als erwachsene, gleichzeitig jung gebliebene Band. Was die Bonus-CD "Die Geister, die wir riefen" belegt, hier zollt man knapp 38 Minuten mit 15 Coverversionen einflussreichen Bands Tribut - dass man gar DIE ÄRZTE covert, ist fast schon eine kleine Sensation.
FAZIT: So kann es gerne noch zehn Jahre weiter gehen. Auch wenn die Herren langsam aber sicher auf die 50 zugehen, sind sie nicht nur körperlich fit genug, um live restlos zu begeistern, sondern auch musikalisch. "Ballast der Republik" ist wieder ein starkes Album mit Songs, die das Zeug zu Bandklassikern haben. Und weil sie aus Düsseldorf kommen, sind sie eh die Besten.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.05.2012
Andi
Campino
Kuddel, Breiti
Vom
JKP / Warner
52:47
04.05.2012