Wenn man sich die letzte Veröffentlichung GALAHADs, die nostalgische Nabelschau „Whitchurch 92/93 – Live Archives vol. 2“, anhört und gleich im Anschluss das aktuelle Album, wird sofort offenkundig, welch erstaunlichen Weg die britische Band von ihren Anfängen mit romantisch-verspieltem Neoprog bis zum kantigen und trotzdem hochmelodischen Artrock 2012 zurückgelegt hat.
Drei Studioalben in den letzten zehn Jahren und jedes eine Steigerung zum Vorgänger. „Battle Scars“ wirkt wie eine in Ruhe gereifte direkte Fortsetzung zu „Empires Never Last“. Was dort noch leicht disparat nebeneinander stand, die heftigen Attacken im Kontrast zu den weitgeschwungenen, sacht melancholischen Melodiebögen, ist auf „Battle Scars“ wesentlich homogener und ausgefeilter.
Beginnt gleich mit dem Opener und Titeltrack: Hitchcock-Thriller-Streicher leiten den Track bedrohlich-stimmungsvoll ein, der sich schnell bis zum mitreißenden Refrain steigert, eine gehörige Portion Wut im Gepäck (ähnlich wie bei „Beyond The Barbed Wire“).
Stuart Nicholson – der bei den frühen Live-Aufnahmen schon mal schwächelt – liefert eine durchweg überzeugende Vorstellung ab, und wenn er „Battle Scars, Battle Scars, Arrogance And Egos, Arrogance And Egos, Have No Place In Our World“ schmettert, ballt sich die innere Occupy-Faust, während der Rest des Körpers rhythmisch dazu tanzt. Auch das ist ein Kennzeichen von „Battle Scars“, kein textliches Geschwurbel, sondern kurze, klare Statements und nachdenkliche Betrachtungen über Schmerz und Freude – kurz das Leben. Gekrönt im eigenwilligen „Seize The Day“, das zustande bringt, was MARILLION, GALAHAD selbst (auf „De-constructing Ghosts“) nicht gelang; die genieß- und tanzbare Kombination von Techno und Progressive Rock - Supper’s Ready In The House und eine kleine Lehrstunde/Requiem für die mittlerweile verblichenen PURE REASON REVOLUTION …
Mit Heavy- bzw. Progressive-Metal hat die Härte auf „Battle Scars“ nichts zu tun. Hier werden nur die Stilmittel des artifiziellen Rocks auf die Spitze getrieben; Wut und Versöhnung, einschmeichelnde Melodien in ruppigem Gewand. Die Keyboards wandern in den Hintergrund, Dean Bakers und Neil Peppers flächiges Spiel geben dem Gesamtsound aber die warme Unterfütterung, auf der sich Gitarre, Bass und Schlagzeug austoben dürfen. Wenn die Tasteninstrumente doch einmal das Zepter übernehmen, geschieht das kurz, prägnant und verliert sich nicht in ausladendem Bombast. So wirkt GALAHADs Musik gleichzeitig voluminös und entschlackt.
KARL GROOM trägt durch eine luftige, präzise Produktion einen Gutteil zur stimmigen Atmosphäre bei. Die ungestümen, niemals bestehen bleibenden Weltreiche sind ihren Flegeljahren entwachsen. Ein konsequenter und höchst hörenswerter Entwicklungsprozess.
Nicht zu vergessen, die überzeugende, wesentlich besser und druckvoller klingende, Neubearbeitung des siebzehn Jahre alten „Sleepers“, welche exemplarisch die Fortentwicklung GALAHADs aufzeigt. Das Album-Cover ist zudem ein finsterer Diskurs zum umstrittenen Pathologie-Foto auf dem gleichnamigen Longplayer.
FAZIT: Wenn man „Battle Scars“ etwas vorwerfen kann, dann seine Nähe zum Vorgänger. Doch warum sollte man Professionalität und dezente Weiterentwicklung abstrafen, wenn sie so leidenschaftlich und beseelt rüberkommt? Und wer sagt, dass Progressivität nicht mit dem Wissen um die eigenen Stärken behutsam voranschreiten darf? In den zwanzig Jahren seit „Whitchurch“ hat sich viel getan – bei GALAHAD deutlich vom Guten zum Besseren.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.05.2012
Neil Pepper
Stuart Nicholson
Roy Keyworth, Neil Pepper
Dean Baker, Neil Pepper
Spencer Luckman
Avalon Records/Just For Kicks
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30.04.2012