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Reviews

Gavin Harrison & Ø5Ric: The Man Who Sold Himself

Stil: Progressive / Experimental / Fusion

Cover: Gavin Harrison & Ø5Ric: The Man Who Sold Himself

Abreaktion ist doch was Feines. Fans von Gavin Harrison feiern die Feste gerade, wie sie fallen: Die neue OSI steht schon in den Startlöchern, aber zunächst mal ist „The Man Who Sold Himself“ an der Reihe, die inzwischen schon dritte Kollaboration des PORCUPINE TREE-Drummers mit Extended-Range-Bassist Ø5Ric.

Dem Improvisationscharakter der bisherigen Veröffentlichungen, bei dem sich zwei versierte Experten ihres Fachs wechselseitig inspirierten, wird mit einer gehörigen Portion Konzept entgegengewirkt: Das an OCEANSIZEs „Everyone Into Position“ angelehnte Artwork erzählt wesentlich mehr als die abstrakten Selbstbezüge eines „Tropfen“ oder „Kreises“, die bislang die Cover zieren durften. Dazu Texte über falsche Werte, künstliche Identität und ein schreckliches Erwachen im Alter, angereichert mit Bibelzitaten und Zynismus zwischen den Zeilen – diese Veröffentlichung möchte als vollwertiges Album wahrgenommen werden.

Nicht, dass man daraufhin einen 180°-Richtungswechsel erwarten sollte: Alles mag jetzt noch eingespielter klingen, doch der Charakter der Aufeinandertreffen zwischen Harrison und Ø5Ric, der wie ein reißender Wildbach kontinuierlich strömt und auf seiner Oberfläche in fortwährender Metamorphose immer wieder neue einmalige Farb- und Figurenformen erzeugt, hat sich nicht geändert. Gerade die Schizophrenie, dass im Grunde immer zwei Songs gleichzeitig gespielt werden, wurde soweit ausgebaut, dass sie sich zum zentralen Merkmal der Platte erhebt.

Dabei wäre es zu einfach, Garrison einen Song performen zu lassen und Ø5Ric mit einem anderen Song darüber zu legen. Stattdessen übernehmen beide jeweils zwei Rollen, die sich ergänzen beziehungsweise reiben. Insbesondere die ersten Stücke klingen nach einer völlig absurden Kreuzung aus anspruchsvollerem Math Metal ähnlich ANIMALS AS LEADERS oder CHIMP SPANNER einerseits und Frank-Sinatra-Pianoballaden andererseits.

Dabei ist es Ø5Ric, der mit seiner Touch Guitar U8 die Richtung angibt. Dank des breiten, an einen Chapman Stick erinnernden Griffbretts spielt er mit Hilfe zweihändiger Tapping-Technik oft zwei Melodien gleichzeitig. Harrison packt dann sein Schlagwerk aus und erzeugt einen immer im Wandel begriffenen Rhythmus, der auf unmenschliche Weise zu beiden Linien passt. Das ist insofern besonders bemerkenswert, als dass hier zwei Atmosphären gekreuzt werden, bei der eine von kalter Präzision, schwindelerregendem Tempo und Unberechenbarkeit lebt, während die andere gezielt nach Ruhe und Sanftheit strebt, in einem guten Restaurant gar als Tischbegleitung gespielt werden könnte.

Ø5Rics Gesang steht als dritte Variable im Raum. Er passt sich klar der ruhigen Seite an, indem er den Takt immer etwas nachzieht und jede Silbe stark ausdefiniert. Der durch die Überbetonung des Vibrato erreichte Singer-Entertainer-Ansatz bestärkt die Sinatra-Bezüge, lässt aber durch den mitschwingenden Humor in Verbindung mit dem Albumkonzept und der experimentellen Anlage auch gewisse Parallelen zu FRANK ZAPPA und KING CRIMSON entstehen. Die Stimmfarbe wiederum ähnelt sehr derjenigen von Ray Alder (FATES WARNING). Aufgrund ihrer Dominanz steht die Stimme ein wenig der Dualität im Wege; es bleibt jedenfalls fraglich, ob eine Instrumentalversion nicht genauso gut oder besser funktioniert hätte.

Zur Mitte hin gönnt sich das Album ein paar Ruhepausen, die ihm aber nicht so nützen, wie man denken könnte: Kaum hat sich Harrison auf „Body Temple“ (abgesehen von ein wenig Percussion) mal zurückgenommen und die FATES WARNING und CHROMA KEY nicht unähnlichen Atmo-Backgrounds treten in den Vordergrund, da wünscht man sich wieder das Gefrickel von anfangs herbei. Am Ende geht der gar nicht mal so langen CD dann auch wieder ein wenig die Puste aus, obwohl man bis zur letzten Sekunde stets mit neuen Überraschungen rechnen muss.

FAZIT: Wenn sich Gavin Harrison und Ø5Ric zusammentun, ist das auch im dritten Anlauf noch mehr als bloße Zurschaustellung von Skills. „The Man Who Sold Himself“ erzeugt mit einer Überpräsenz von Schlagzeug und Bass ungewöhnliche und herausfordernde Klanglandschaften, die ihren Reiz aus der Synchronizität von Elementen beziehen, dem gleichzeitigen Nebeneinander von Ruhe und Chaos. Ø5Rics Stimme bleibt Geschmackssache, ohne Texte allerdings wäre das Konzept nur schwer umzusetzen gewesen, das an sich keine neuen Pfade betritt (wer verflucht die Uniformität der Anzugträgerwelt nicht?), jedoch hervorragend zur hysterisch-ruhigen Schizophrenie des Harrison-Ric-Outputs passt.

P.S. Offizieller Releasetermin ist der 2. März, allerdings wird das Album via Burning Shed bereits seit dem 3. Februar versendet. Die ersten 500 Kopien wurden von Gavin Harrison und Ø5Ric signiert.

Punkte: 10/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.02.2012

Tracklist

  1. CD:
  2. Prize
  3. Identitas
  4. The Man Who Sold Himself
  5. Own 2:50
  6. Body Temple
  7. 107
  8. Wherewithal
  9. Awake
  10. Illusion
  11. Way
  12. DVD AUDIO:
  13. Prize
  14. Identitas
  15. The Man Who Sold Himself
  16. Own 2:50
  17. Body Temple
  18. 107
  19. Wherewithal
  20. Awake
  21. Illusion
  22. Way

Besetzung

  • Bass

    Gavin Harrison, 05Ric

  • Gesang

    05Ric

  • Gitarre

    Gavin Harrison, 05Ric

  • Keys

    Gary Sanctuary

  • Schlagzeug

    Gavin Harrison

Sonstiges

  • Label

    kscope

  • Spieldauer

    41:59 (CD) + 41:59 (DVD-Audio)

  • Erscheinungsdatum

    02.03.2012

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