Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger war es kaum möglich dem Markenzeichen der GEBRÜDER ENGEL in Münster zu entgehen. Der Glatzkopf mit runder Brille im Ringelpulli begegnete einem auf Stromkästen, in Kneipeneingängen, auf Partys und natürlich auf Covern in den zahlreichen Schallplattenläden der Stadt. „Magengesicht“ dürfte das bekannteste Album der Brüder Bertram und Tom sein, die von wechselnden Musikern – dem Who’s Who der (Münsteraner) Musikszene von Steffi Stephan bis Mark Brouwer (MARYLIN) – begleitet wurden. Zumindest von 1976 bis 1981, danach hielt Tom alleine das GEBRÜDER ENGEL Zepter hoch, während Bertram sich als Sessionmusiker u.a. für UDO LINDENBERG, PETER MAFFAY, ROBERT PALMER, ERIC BURDON und - tatsächlich - BRUCE SPRINGSTEEN verdingte. Bis die GEBRÜDER ENGEL 1993 das vorerst letzte Studioalbum „Ton Träger Sieben“ vom Stapel ließen.
2012 hat Tom Engel den formidablen DOC HEYNE an Bord und zusammen mit Jogi Spittka und Gereon Homann wird das neue Werk „Sünder“ eingespielt. Ein passender Titel für die katholische Hochburg Münster, was im Verlauf neben dem Titeltrack, „Schäm Dich (tu Buße)“ unterstreicht.
Ja, sie sind wieder da, die GEBRÜDER ENGEL. Als wären sie nie weg gewesen. Als wären die 80er noch nicht vorbei und die nächste Party in der Mensa würde nur auf Songs der SPIDER MURPHY GANG, den RODGAU MONOTONES, GEIER STURZFLUG, FRANZ K., den Konkurrenten unter den Lokalmatadoren, der TÖRNER STIER CREW und natürlich den GEBRÜDERn ENGEL warten.
Anachronistischer Deutsch-Rock, der sich bei der NDW ebenso bedient wie er sich abgrenzt. Punk, Blues, Rock’n Roll; auf „Sünder“ wird munter drauflos gerockt. Nicht ohne Rücksicht auf Verluste, aber ohne einen Gedanken an Tagesaktualität oder mögliche Nutzbarkeit über den Moment hinaus. Der gerne ein Gestriger sein darf. Klanglich spielt sich das auf einem ganz anderen Level als die früheren Aufnahmen ab, bestes Beispiel, die Neuaufnahme von „Sei kein Poet“.
„Zeiten des Zorns“ ist ein überzeugender Einstieg, schnell, ruppig, direkt, mit knappem Keyboard-/Klaviereinsatz an den richtigen Stellen. Der folgende, simple Stampfer „Abkassieren“ kann bei weitem nicht mithalten. Wie die GEBRÜDER ENGEL insgesamt weit mehr überzeugen, wenn sie sich auf Punk und Blues als Rock’n’Roll beziehen.
Textlich wird der Holzhammer hervorgeholt. Das ist albern, direkt, naiv wie die simple „das Schwert ist mächtiger als die Feder“-Mentalität von „Sei kein Poet“. Trotzdem – oder gerade deswegen – zaubert einem ein Song wie „Schäm Dich (tu Buße)“ ein feistes Grinsen auf‘s Gesicht. Der Song klingt als würde man die TOTEN HOSEN mit RAMMSTEIN in den Nikolaus-Sack stecken und lustig durchwalken.
Es ist diese Unbekümmertheit, die deutsche Rockgeschichte von ACHIM REICHEL, UDO LINDENBERG über MAFFAY bis hin zu den oben genannten Bands, durch den Fleischwolf zu drehen, um am Ende als GEBRÜDER ENGEL rauszukommen. Ohne einen Augenblick bewusst nach dem Naheliegenden zu schielen. Das macht seltsamerweise auch die teils schwer verdaulichen Lyrics vergnüglich.
„Zu den Sternen wollte sie“ erinnert textlich und stimmungsmäßig verflucht an den „Tag als Conny Kramer starb“ (auch das muss man erst einmal bringen); „Unsere Zeit ist längst reif“ ist da schon eigenständiger, für „schweren, romantischen Bluesrock“ besinnlich genug, aber der Schalk blitzt aus jeder Zeile, jeder Note.
Ein intensiver, nachdenklicher Titel wie „Sie fangen wieder an“ fehlt auf „Sünder“ zwar, doch dieser Sprung einer Altherrencombo in den Jungbrunnen ist einfach kritikmäßig kaum angreifbar. Selbst beim unglaublich retrograden Phrasendrescher „Zieh Leine“ zum Ausklang. „Teletubby-Zurückwinker“. Eigentlich fürchterlich. Leider geil.
FAZIT: Übles Teil. Für Münsteraner, die in den 80ern musikalisch in dieser Stadt zwischen Odeon, Grünhaus und Jovel groß geworden sind, ein Muss. Alle anderen sollten Probehören. Als verdammt gut klingendes (Download)-Album in gelebtem Deutsch-Rock mit allen Licht- und Schattenseiten eigentlich eine Pflichtveranstaltung. Nicht das ganze Feld dem „Ballast der Republik“ überlassen.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.06.2012
Jogi Spittka, Steffi Stephan (7,11)
Tom Engel, Doc Heyne, Jogi Spittka, Linda Lulka (7)
Doc Heyne, Tom Engel
Gereon Homann
Pucky Music
38:31
20.04.2012