Die ersten zwei Scheiben der Franzosen rund um Bandkopf Joe Duplantier, nämlich „Terra Incognita“ und „The Link“, zählen im offen angelegten, Weiterentwicklung anpeilenden Death Metal zu den wohl genialsten, revolutionärsten Extrem-Werken des noch jungen Jahrtausends, und mit „From Mars To Sirius“ fand eine überraschende und faszinierende Stilöffnung statt, die als einer der wohl heftigsten Paukenschläge im lauten Zirkus durchgehen dürften. Der Durchbruch war eingeläutet, und offenbar hat die Band das Livepublikum scharf analysiert, denn „The Way Of All Flesh“ klang im Grunde wie eine stilistische und kompositorische Selbstreduktion, die wohl vor allem Live funktionieren sollte.
Das tut sie anscheinend auch wunderbar, doch es gab - untypisch für GOJIRA - nicht mehr allzu viel zu entdecken. Das Album wollte unter dem Kopfhörer nicht optimal funktionieren, das Gros der Songs hat sich viel zu schnell totgehört. Sicherlich sehen das viele Fans deutlich anders, daher sollte dem Leser hier die Subjektivität des Rezensenten klar bewusst sein. Trotzdem war jene vierte Langspielplatte eine Überraschung, denn erwartet hätten Bandkenner wohl eher eine weitere Aufbohrung und Expansion des Stilmixes rund um MORBID ANGEL und NEUROSIS - stattdessen trat die Besinnung auf das Wesentliche ein.
Doch auf Scheibe fünf bleibt dieser Uberraschungseffekt komplett aus, denn „L'Enfant Sauvage“ bietet im Grunde kaum mehr als einen Aufguss des Vorgängers, Aha-Effekte wie beim Interludium „The Wild Healer“ sind rar gesät, und so könnte man GOJIRA beinahe vorwerfen, sie wollten auf Teufel komm raus eine Festivalband sein, die ihre Fans beim gepflegten Abspacken beobachten kann. Das mag möglicherweise eine hanebüchene Unterstellung sein, ja, aber die künstlerische Neuerfahrung bleibt weitgehend auf der Strecke, und fast hat man das Gefühl, dass sich bei den einst als GODZILLA gestarteten Sudwesteuropäern eine gewisse Selbstherrlichkeit manifestiert hat. Besonders präsent wird dies nach der Hälfte der Spielzeit. Stets dasselbe: Doublebasswalzen, monotone Vocals, ein paar Stakkati, ein paar NEUROSISche Anwandlungen, etwas Slow-Motion-Gestampfe, etwas Technik und ein paar MESHUGGAHnismen, fertig.
FAZIT: GOJIRA sind im Hafen der Bequemlichkeit angekommen.
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.07.2012
Jean-Michel Labadie
Joe Duplantier
Christian Andreu, Joe Duplantier
Mario Duplantier
Roadrunner Records
56:28
22.06.2012