Die holländisch-katalanische Formation HARVEST weist mit dem Artwork ihres zweiten Albums den Weg ihrer musikalischen Reise: Künstler Antonia Seijas hat bereits Cover für THE WISHING TREE und MARILLION angefertigte – und „Chasing Time“ darf der Fan als eigenständiges Werk zwischen jenen von Steven Rothery einordnen.
Die Triebfeder des britischen Prog-Flaggschiffs gibt sich zudem ein Stelldichein, genauso wie Alan Reed von PALLAS, der die minimalistische Akustikballade „Time Lapse“ gemeinsam mit Frontfrau van der Kolk intoniert. „Roundabout“ vermittelt jedoch zunächst den Eindruck eines treibenden Rockers ohne Schnörkel mit Anmut, aber schon „Intuition“ klingt mit Piano und cleanen Gitarren differenzierter. Sängerin Monique erinnert wiederholt an Hannah Stobart und prägt den Sound von HARVEST mit ihrer durchweg gefühlvollen Darbietung, hier melancholischer als im folgenden „The Spell“, das in seiner neblig bombastischen Anlage auch etwas von Kate Bush besitzt, wobei die Band einen regelrechten Klangsturm aufwirbelt, der am Ende sachte verhallt.
„The Machine“ zeichnet als überschaubar zartes Konstrukt ein konträres Bild und würde jeder Radiosendung zu mehr Qualität gereichen, wenngleich sich die Musiker auch hier zum Schluss hin in etwas härtere Gefilde begeben. Überhaupt legen HARVEST großen Wert auf dynamische Kompositionen, ohne ausufernde Songstrukturen zu bemühen, weshalb sich die Wandlungen nur im Detail ausfindig machen lassen. So schaffen sie es, „Chasing Time“ gleichzeitig leicht verdaulich und langfristig interessant zu halten. Die ausufernden Lieder stehen im hinteren Drittel, „In Debris“ beziehungsweise „Unknown Skylines“, und gehen als dramatische Highlight der Scheibe durch, das heitere 'Yesteryear“ als erfrischender Ausreißer in Sachen Stimmung.
Man darf quasi sagen, dass sich HARVEST auf allen Ebenen verbessert haben: Im Vergleich zum Debüt klingen ihre epischen Stücke zwingender, und wenn sie kompakt aufspielen, gelingt ihnen dies ebenfalls ohne Anflüge von Vorhersehbarkeit. Selbst über das zunächst verschachtelt wirkende „Silent Run“ erhält der Hörer nach mehrmaligem Genuss Aufschluss, denn hier versucht sich die Gruppe an einer stetig nach oben verlaufenden Spannungskurve. Der Abschluss „Stars“, der an das letzte Werk der Norweger WHITE WILLOW gemahnt, bringt letztlich sogar Prog-Typisches zu Gehör: leichte Überlänge, Tempowechsel und atmosphärische Janusköpfigkeit.
FAZIT: „Chasing Time“ ist keine innovative Scheibe geworden, begeistert aber einerseits durch die investierten Emotionen der Musiker, andererseits ob seines zwanglosen Umgangs mit eher seltenen Vorbildern – eben dem Progressive Rock britischer Provenienz aus den neunziger Jahren.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.06.2012
Roger Vilageliu
Monique van der Kolk
Jordi Prats
Jordi Amela
Alex Ojea
Eigenvertrieb / Just For Kicks
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25.05.2012