Ein Orgelsolo! Wie kultig kann man eigentlich ein Metalalbum beginnen? Damit sorgen HELLWELL schon für die verdiente Aufmerksamkeit für ihr Debüt, das so liebenswert schräg ist wie die Geschichten, die darauf erzählt werden. Diese stammen von Namensgeber und Keyboarder E.C. Hellwell, der kleine und große Schrecknisse nach dem Vorbild von Poe und Lovecraft in Liedform gefasst hat. Vorgetragen von der kauzigen Stimme Mark Sheltons wähnt man sich in einer Metal-Variante der „Dreigroschenoper“.
Wohin die Reise musikalisch geht, ist mit dem Namen Mark Shelton klar: Der alte Kumpel von E.C. Hellwell ist hauptberuflich Frontmann von MANILLA ROAD. Am ehesten klingt „Beyond The Boundaries Of Sin“ nach MANILLA ROADs „The Deluge“ und alten JAG PANZER, die Produktion erinnert an die ersten Veröffentlichungen von IRON MAIDEN. Dennoch haben HELLWELL ihr eigenes Gesicht, vor allem durch den häufigen Orgeleinsatz, der meist die Gitarre doppelt, oder aber eigenartig schimmernde Klangflächen schafft. Diese Instrumentierung sorgt mit Sheltons Stimme für eine wundervolle Knarzigkeit, die einem umgehend Spinnweben in die Lautsprecher hängt. Trotzdem kommen die Herren nicht altersschwach daher, da sie mit Doublebassunterstützung immer wieder Tempo machen.
Allein diesem ungewöhnlichen Retrosound zu lauschen ist eine Freude, doch auch kompositorisch haben HELLWELL einiges zu bieten. Harmonisch wird immer wieder das Loch im Zaun gefunden, um die Songs angemessen anzuschrägen. Gelegentlich walzen HELLWELL einzelne Teile sehr breit aus, bevor es langweilig wird, werfen sie aber ohrwurmbestückte Angelhaken und ziehen den Hörer wieder mitten ins Geschehen. Das gelingt vor allem dann, wenn sich ein Song vom sehr klassischen Metal-Riffing in einen melodischen Teil öffnet, der durch die Orgelflächen Progerzeugnissen der 70er sehr nahe kommt. Die Refrains von „Eaters Of The Dead“ und „Tomb Of The Unnamed One“ sind nur zwei herausragende Beispiele, im Grunde enthält jeder Song großartige Passagen und all die Elemente, die HELLWELLs eigene Note ausmachen. Schöner Schlusspunkt ist „End Of Days“, das sich anfangs viel Zeit lässt und mit zweistimmigem Gesang in der ersten Hälfte Spannung aufbaut, die sich sich im zweiten Teil als Proto Metal-Version von METALLICAs „One“ entlädt. Einziger kleiner Kritikpunkt sind die zappeligen Gitarrensolos, die sich mit ihrem ziellosen Aufbau und fransigen Sound nicht im opulenten Gesamtklang behaupten können.
FAZIT: Märchenstunde, Trip, Horrorshow ohne große Tricks – HELLWELL bieten auf „Beyond The Boundaries Of Sin“ eine stimmige und gleichbleibend gute Leistung. Die ungewöhnliche Verschmelzung von Orgel und Gitarren ist Indiz dafür, dass die Gruppe kein bloßes Nebenprojekt von Mark Shelton ist, sondern eine eigene Richtung einschlägt, die klar auch auf das Konto der übrigen Bandmitglieder geht. Wer auf frühen Metal mit Power und Epik steht, wird hier seine Freude haben.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.11.2012
E.C. Hellwell, Johnny Benson
Mark Shelton
Johnny Benson, Mark Shelton
E.C. Hellwell
Johnny Benson
High Roller Records
47:19
17.08.2012