Fast aus dem Nichts kommt eine der schönsten Progressive-Rock-Veröffentlichungen dieses Jahr daher. „Speak“ ist ein bemerkenswertes und reifes Debüt. Ein Blick auf die Besetzungsliste offenbart, dass I AND THOU alles andere als Neulinge sind. Federführend ist der aktuelle RENAISSANCE-Keyboarder Jason Hart, u.a. unterstützt von John Galgano und dessen IZZ-Kollegen Paul Bremner und Laura Meade. Die restlichen Musiker haben ebenso feine Referenzen (JEFF BUCKLEY, RUFUS WAINWRIGHT, PATTI SMITH etc.); während dem, ungewöhnlich für ein Prog-Album, verblüffend gut ins Konzept passende RUFUS WAINWRIGHT-Cover „Go Or Go Ahead“ Steve Hogarth seine Stimme leiht. Klingt, wen wundert’s, mächtig nach einer der elegischen Balladen MARILLIONs (auf deren Tournee I AND THOU als Support auftraten).
Wenig überraschend werden die restlichen vier Stücke, allesamt jenseits der zehn-Minuten-Grenze, ebenso von Tasteninstrumenten dominiert – aber nicht erschlagen. Näher als RENAISSANCE liegt dabei GENESIS; Harts Spiel erinnert ein ums andere Mal an Tony Banks zu seinen Glanzzeiten, wobei Hart keine überehrgeizigen Versuche an den Tag legt, sich als begnadeter Techniker beweisen zu müssen. „Speak“ fließt, hat betörende Melodien voller berauschender Melancholie en masse aufzuweisen. I AND THOU rutschen dabei nie in allzu glatte Beliebigkeit und zuckrigen Schmusesound ab. Die recht schlanke Produktion mit einem präsenten Rhythmusteam und Bremners eleganter (akustischer) Gitarrenbegleitung tun ihr Übriges.
Das Titelstück gleich zu Beginn klingt nach einem ausgegrabenen GENESIS-Song aus der Phase zwischen „Trick Of The Tail“ und „Wind And Wuthering“, dem man eine reichliche Portion BLACKFIELDscher Schwermut beigemischt hat.
Die mitunter recht enge Nähe zu GENESIS mag man der Musik auf „Speak“ vielleicht vorwerfen, ohne je von einem Klon sprechen zu können, aber I AND THOU setzen ihr Konzept derart ergreifend um, dass einem die Kritik im offenen Mund erstirbt.
„Speak“ bietet nichts weniger als eine Stunde schwelgerische Musik, voller perlender Pianoläufe, warmer, raumgreifender oder dezent untermalender Keyboardklänge, getragen von einer starken, ökonomisch und mit dem nötigen Biss aufspielenden Rhythmussektion; aufgelockert durch Violin- und Trompeteneinsprengsel, garniert mit unaufdringlicher Gitarrenbegleitung, plus kleinerer solistischer Pretiosen. Gesanglich ohne Schwachpunkte, mit der wie meist bezaubernden Laura Meade und der niederländisch/israelischen Musikerin Keren Ann als Sahnehäubchen.
Jason Hart und seine Kollegen haben genau bei GENESIS und YES hingehört, lassen Eigenes, Art Pop, Klassik und eine winzige Prise Jazz mit einfließen, und basteln daraus eine überaus stimmige musikalische Liebeserklärung, die genau weiß, dass sowohl Lust wie Leid mit Wonne zelebriert werden können.
FAZIT: Ein zeitlos schönes Album, das alle kritischen Anwandlungen durch seinen unwiderstehlichen Charme erschlägt.
PS.: Die konvenierende Covergrafik stammt von Mrs. RENAISSANCE Annie Haslam.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 31.12.2012
John Galgano
Jason Hart, Laura Meade, John Galgano, Keren Ann (3), Steve Hogarth (5)
Jack Petruzelli, Paul Bremner, Jason Hart
Jason Hart
Matt Johnson
Maxim Moston, Jason Hart, Jack Petruzelli
Eigenpressung/Just For Kicks
60:47
14.09.2012