Es gibt Alben, von denen erwartet man wenig bis gar nichts. Dann beginnt das erste Stück, und man fragt sich, wie man auf die eigene minderbemittelte Erwartungshaltung hereinfallen konnte? Waren es die zu kurz gehörten Soundschnippsel auf Myspace oder das Cover aus dem Fotoalbum eines Stuckateurs? Egal. Bereits mit den ersten Klängen wird klar, dass IOEARTH keine sehnsuchtsgeschwängerte Gothic-Band ist, die mit progressiven und metallischen Elementen flirtet, sondern eine höchst eigenständige Erscheinung, deren zweites Album ein voluminöser Brecher geworden ist, der es versteht, nicht unter Bombast begraben zu werden.
Denn die beiden federführenden Musiker Dave Cureton und Adam Gough verstehen es im Verbund mit Sängerin Claire Malin (die zwar glockenhell singt, es aber vermeidet die Operndiva zu geben), sowohl sparsame, zurückhaltende Momente in Szene zu setzen wie mit erhöhtem Tempo und voller Besetzung voran zu galoppieren. Harter Rock, nicht Metal ist dabei die Devise, gerne gepaart mit einem ordentlichen Schuss Weltmusik. Klingt bisweilen so, als hätten RENAISSANCE, ENIGMA und PROPAGANDA (kennt die noch jemand? Falls nicht: Das Debüt ist immer noch eine Sünde wert und mittlerweile in ausführlicher Edition erhältlich. Schönen Gruß von „Dr. Mabuse“ inklusive) einen hochkonzentrierten musikalischen Pakt geschlossen, der nicht auf Schmusekurs mit Major-Labels geht.
„Moments“ ist ausufernd und kompakt zugleich, auf jeden ausladenden Teil folgen kurze, abwechslungsreiche Passagen, in denen Ideen verbraten werden, die anderen Künstlern für mehrere Alben gereicht hätten. Seien es eine klagende Trompete zwischen Italo-Western und MILES DAVIS vor repetitiven Klaviermustern („Drifting“ einer der Höhepunkte des Albums) oder die Violinparts, die den Bandsound eher akzentuieren als schaumgebremst Richtung Romantik steuern. Kulminierend im längsten Track, dem finalen „Turn Away“, das jedem anspruchsvollen Tanzpalast zur Ehre gereichen würde. Wenn es zwischen PINK FLOYD und Techno (nicht der Kirmesvariante) einem Ort zum Wohlfühlen geben sollte, IOEARTH haben ihn gefunden. Oder gebaut. Luke Shingler spielt auf „Brother“ Saxophon dazu. Noch ein grandioser Song.
Natürlich dürfen auch gregorianische Chöre nicht fehlen. Und Funk. Tatsächlich. Was fehlt, ist Steve Balsamo, der das titellose Debüt sangestechnisch begleitete. Ob dies ein Verlust ist, sei dahingestellt. Ich erinnere mich noch mit Grausen an das Edgar Allan Poe-Musical mit Balsamos Beteiligung. Wobei er für das größte Grauen gar nicht zuständig war…
Das FAZIT folgt dem knappen Presse-Info. Ein einziger Satz, ein einfaches Urteil: Auf “Moments” verbinden IOEARTH “die verschiedenen Stilelemente von Rock, Ambient, Jazz, Fusion, Elektronik, World Music zu einem uneingeschränkten Hörvergnügen.“ Vor „Rock“ gehört eigentlich noch Progressiv- oder Art-, und den „Fusion“-Begriff darf man nicht gar so eng sehen. Der Rest geht voll in Ordnung. Ein Album, von dem ich nicht viel erwartet habe und das in jeder Hinsicht positiv überrascht. Love Is In The Air.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.03.2012
Christian Nokes
Claire Malin, Dave Cureton, Adam Gough, Wendy Vissers-Hagenbeck & Jayna Maye-Noa Vissers (spoken words)
Dave Cureton, Adam Gough
Adam Gough, Dave Cureton
Richard Cureton, Nicko Cureton (perc.)
Adam Gough (Theremin), Luke Shingler (fl., sax.), Steve Triggs (tp.)
IOEarth Music/Just For Kicks
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24.02.2012