Über weite Strecken war „Zero Order Phase“, das erste Soloalbum des ex-NEVERMORE-Gitarristen, ja noch so ein wenig „NEVERMORE minus Gesang plus noch mehr Gitarrenvirtuosität seitens des blonden Lockenkopfes“. Schon jenes Werk zeigte jedoch, dass instrumentale Soloalben talentierter Gitarristen nicht unbedingt immer in selbstherrlicher Zweiunddreißigstel-Shredderei enden müssen, sondern auch sinnvolle Songs mit eimerweise Feeling enthalten können.
Dennoch dürfte man gespannt sein, wie sich Loomis' zweiter Streich anhören mag. Es liest sich vielleicht ein bisschen schizophren, da der gute Jeff im Grunde stilgebend für NEVERMORE war, aber auf „Plains Of Oblivion“ emanzipiert er sich einmal mehr noch einige Schritte weit von seiner ehemaligen Band. Die Spinnenriffs und die speziellen Soli sind natürlich noch immer da, aber man hört ganz klar, wie sich der Herr der sieben Saiten bemüht, selbst voranzukommen und gleichzeitig er selbst und die Zukunft zu sein. Und im Gegensatz zum ersten Egowerk lässt der Bundakrobat auf dessen Nachfolger auch die Stimmbänder Schall erzeugen, wenngleich auch nicht seine eigenen.
Verträumte Nummern wie das von vielen Klassikeinflussen geprägte „Requiem For The Living“, für welches er den neuen NEVERMORE-Klampfer Attila Vörös verpflichten konnte, erwärmen das Herz, während beispielsweise die ersten drei Stücke zwischen Epik, waschechtem Heavy Metal und Geknüppel variieren. Progressiv und manchmal PSYCHOTIC WALTZ-Flair verbreitend (Flair, nicht dass jetzt jemand mit „Mümümü, wo klingtn detten nach WALTZ?“ daherkommt) geht es in „Tragedy And Harmony“ zur Sache, und wer ganz genau hinhört, wird erkennen, dass es sich bei Christine Rhoades, die diesem Track ihre Stimme leiht, um dieselbe Dame handelt, die auf dem NEVERMORE-Meilenstein „Dreaming Neon Black“ den weiblichen Gesang beigesteuert hat. Selbige Lady genießt in der Powerballade „Chosen Time“ einen weiteren Einsatz am Mikrofon, ebenso ist sie auf den beiden Bonussongs zu hören, die in vorliegender Promoversion leider nicht enthalten sind. Meister Loomis hat es sich zudem nicht nehmen lassen, die lebende EMPEROR-Legende Ihsahn für das versponnene „Surrender“ im Aufnahmeraum einzusperren. Weitere tolle Gastauftritte solcher Größen wie Chris Poland, Marty Friedman und Tony MacAlpine runden das sehr starke Album gekonnt ab und zeigen, dass JEFF LOOMIS auch anderen Musikern, vor allem auch denen, die „sein“ Instrument spielen, die Bühne überlassen kann und sich in den Hintergrund begibt.
Aber wo wir gerade bei den psychotischen Walzerkönigen wären: Das akustikgitarrenschwangere „Rapture“ hätte stellenweise durchaus auf deren legendärem Debüt „A Social Grace“ stehen können.
FAZIT: Immer wieder stellt so mancher die Frage, wer denn Soloalben brauche. Diese Frage birgt eine solch dämlich pauschalisierende Antwort in sich, dass es schmerzt. Genau diese Leute verpassen hierbei, dass es noch Musiker gibt, die die Soloschiene nicht als hundertprozentiges Selbstprofilierungsmassaker missbrauchen, sondern einfach „nur“ gute Musik fabrizieren wollen (und auch KÖNNEN!), die sie in ihren Hauptbetätigungsfeldern bislang nicht in dieser Form umsetzen durften, konnten, wollten, was auch immer. „Plains Of Oblivion“ ist virtuose Metallarbeit der höchsten Güteklasse, basta.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.04.2012
Shane Lentz
Ihsahn, Christine Rhoades
Jeff Loomis, Marty Friedman, Tony MacAlpine, Attila Vörös, Chris Poland
Dirk Verbeuren
Century Media
47:41
06.04.2012