KAIPA war in den 70ern in Schweden das, was ANYONE'S DAUGHTER in Deutschland war: eine fähige und durchaus umtriebige Band, die Prog bisweilen in der Landessprache darbot und außerhalb ihres Heimatlandes wenig bekannt wurde. Wie die Schwaben verschwanden KAIPA nach dem erfolglosen Versuch, etwas glattere Songs zu schreiben, in den 80ern von der Bildfläche und begannen Anfang des neuen Jahrtausends wieder mit der Produktion neuer Alben.
Antriebsfeder und letztes aktives Gründungsmitglied ist Tastenmann Hans Lundin, der seit mittlerweile fünf Jahren wieder eine konstante Besetzung zusammenhält, die trotz des Abschieds von Gitarrist Roine Stolt (FLOWER KINGS) noch mit etlichen Referenzen aufwarten kann. Insbesondere Solt-Ersatz Per Nilsson von SCAR SYMMETRY bringt mit seinem extrem technischen Spiel eine neue Richtung in die Songs, die sich allerdings mäßig mit dem ursprünglichen Retroprog KAIPAs verträgt. Mit Morgan Ågren agiert hier zudem ein fitter, quirliger Drummer, der sicher nicht bei der Band gelandet ist, um nur Ahnenkult zu betreiben.
Immerhin verleugnet Lundin seine Wurzeln nicht, was vor allem Altproggies freuen dürfte. Vittjar“ klingt über weite Strecken wie eine glattere Mischung aus YES und frühen HOELDERLIN. Mehrstimmige Gesänge sowie herbe Flöten- und Geigenmelodien beschwören immer wieder Bilder schwedischer Mittsommernächte herauf.
Ebenso deutlich merkt man aber auch Hans Lundins Bestreben, zu zeigen, dass er sich als Musiker weiterentwickelt und immer noch Ambitionen hat. „First Distraction“ öffnet eine große Klammer, in der zunächst die beiden Longtracks „Lightblue And Green“ und „Our Silent Ballroom Band“ stehen. Ausgedehnte, gitarrenlastige Instrumentalpassagen, die manchmal DREAM THEATER-Härtegrade erreichen, wechseln sich mit spärlichen, dafür umso häufiger wiederholten Textpartien ab. Ausufernde Progmantren, die in ihrer Substanz leider nicht ergiebig genug für eine solche Dauerrotation sind.
Das als Strophenlied gehaltene und geschickt variierte Titelstück bringt dann auch von der Spielzeit her etwas Kurzweil. In „Treasure-House“ garnieren die Schweden dann erst SPOCK'S BEARDsche Leichtigkeit mit Zuckerguss, bevor sie Richtung GENESIS abbiegen und von der Länge her gerade noch die Kurve kriegen. Auch im folgenden „A Universe Of Tinyness“ lässt sich beobachten, dass KAIPA immer dann fesseln können, wenn sie sanft und jazzig-folkig daherschweben. Der Versuch, aggressiv und mit Power zu agieren, wirkt dagegen oft verkrampft. Das ohnehin ungewöhnliche Organ von Patrik Lundström lässt im Hans-Dampf-Modus an einen gereizten Peter Lustig denken. Und auch die ansonsten angenehme Stimme Aleena Gibsons hat beim Stresstest so ihre Probleme. Überambitioniert ist wie erwähnt auch die Frickelei von Per Nilsson. Mehr Gefühl und weniger Töne hätten es hier gemacht. KAIPA sind von der Anlage her einfach mehr intellektuell, komplex und dennoch zart als eine raue Rock'n'Roll-Kapelle mit nervösen Ausbrüchen.
Leider käut auch das rhythmisch interessante „The Crowned Hillsides“ zu oft wieder und lässt richtig starke Melodien vermissen. Mit „Second Distraction“ verabschieden sich KAIPA immerhin mit einer astreinen, instrumentalen Neoprog-Version des Anfangsthemas und zeigen nochmal eindrucksvoll ihr großes Potenzial zu variantenreichem Spiel.
FAZIT: Trotz Exoten- und Dinosaurierbonus liefern KAIPA hier keine Kaufverpflichtung ab. Trotz aller Durchhörbarkeit und spielerischer Klasse springt unterm Strich nicht mehr als ein „ganz nett“ neben dem Vorwurf der Verkopftheit heraus. Fans progressiver Hypnose dürften noch ein paar Punkte mehr vergeben.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 31.12.2012
Jonas Reingold
Hans Lundin, Patrik Lundström, Aleena Gibson
Per Nilsson
Hans Lundin
Morgan Ågren
Fredrik Lindqvist, Elin Rubinsztein
InsideOutMusic
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27.08.2012