Zurück

Reviews

Karcius: The First Day

Stil: Progressive Rock

Cover: Karcius: The First Day

Dass die Bis-Dato-Instrumentalisten von KARCIUS jetzt plötzlich einen neuen Bassisten auflaufen lassen und diesen auch noch ans Mikro stellen, passt ihnen gerade recht. Treibende Elemente, die sich verlässlich als roter Faden durch das Gesamtwerk ziehen, sucht man ohnehin vergebens; auch „The First Day“ ist von einer geradezu weltmusikalischen Offenheit geprägt, die kunstvoll, aber auch flüchtig wie eine Geistererscheinung die wenig greifbare Identität von KARCIUS prägt, die nun nicht einmal mehr erlaubt, von einer Instrumentalband zu sprechen.

Es gestaltet sich folglich außerordentlich schwierig, jene Identität zu beschreiben. Dabei hat sich mit dem erstmaligen Gesang auf Anhieb gar nicht so viel an der Quintessenz geändert; Sylvain Auclair pendelt mit seiner Stimme zwischen unterkühltem Soul und dem typischen Neo-Artrock, der in Paradoxie zum Soul die Ausformulierung von Emotionen eher verbietet und sich als formelles Instrument zur Gestaltung von Kunst versteht. Und damit passt er sich den musikalischen Vorgaben der Kanadier letztendlich an – die schweben ihrerseits in der Zwischenwelt von klassischen Spielarten des Jazz und des Rock einerseits und moderneren Interpretationen andererseits, verbunden durch eine grundsätzliche Undefinierbarkeit des Sounds. Man könnte auch sagen: KARCIUS verwehren sich erfolgreich jeglichen Versuchen, mit Brett und Nagel auf einen speziellen Stil gehämmert zu werden.

Es ist zu konstatieren, dass die von Fender Rhodes bis Hammond B3 einen riesigen Facettenreichtum ausschöpfende Tastatur eine prägende Gestalt annimmt, allerdings tut sie dies kaum auf eine Weise, die in sich geschlossen ist, sondern bedient immer wieder neue Ansätze; als Soloinstrument in Ambient-Begleitung („Number Ten“ gehört ganz dem Piano), als schmissiger Rhythmusgeber oder zur Akzentuierung von Gitarrenleads, die ihrerseits ebenfalls ständig eine andere Gestalt annehmen, so dass man auch sie kaum mit einem Attribut belegen mag; „funky“ sind sie sicherlich auf „Brother“, leicht „proggy“ auf „The First Day“, eine Lap Steel übertüncht Ansätze von Reggae auf „Water“ mit Country-Feeling, doch was sind sie als Ganzes?

Auch ohne ein Wort über den gospeligen Chor von „Why“ gesprochen zu haben, der unverhofft in eine mächtige Rifffolge mündet, oder den Einsatz afrikanischer Percussion mit Sabar oder Dunduns, die mit „Djoko“ ein eigenes Stück zur Entfaltung bekommen, steht also bereits fest: Hier wimmelt es von Leben. KARCIUS machen genau das, was zeitgemäßer Progressive Rock machen sollte: Sie überraschen mit unvorhergesehenen Texturen, rapiden Stimmungswechseln und dem scheinbar spielerischen Übergang von einem klassischen Grundstil in den nächsten, die jeweils in neue Kontexte gesetzt werden und dadurch spannende Momente erzeugen. Das letzte Quäntchen Drama / Pathos / Gefühl, das man möglicherweise im Ganzen ein wenig vermissen könnte, legt sich immerhin in den letzten Minuten des abschließenden Longtracks nieder.

FAZIT: Über die Notwendigkeit des Gesangs kann man bei KARCIUS nun genüsslich streiten, sein unerwarteter Einsatz ist aber ohnehin auch Symbol dafür, dass man das Unerwartete erwarten sollte. Wenngleich die Kanadier nur schwer zu greifen sind, so ist es doch gerade das, was „The First Day“ so reizvoll macht.

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.12.2012

Tracklist

  1. First Day
  2. Hypnotic
  3. Rest My Head
  4. The World
  5. Number Ten
  6. Why
  7. Brother
  8. Djoko
  9. Water

Besetzung

  • Bass

    Sylvain Auclair

  • Gesang

    Sylvain Auclair

  • Gitarre

    Simon L'Espérance

  • Keys

    Mingan Sauriol

  • Schlagzeug

    Thomas Brodeur

  • Sonstiges

    Sylvain Auclair, Thomas Brodeur, Simon L'Espérance, Mingan Sauriol, Lizann Gervais, Elizabeth Giroux, Julie Babaz Salamagnou, Sadio Sissokho, Cheikh Anta Faye, Pierre St-Jean, Syd Bédard, Andrée Belle-Isle, JP Mortier

Sonstiges

  • Label

    Unicorn Digital

  • Spieldauer

    54:11

  • Erscheinungsdatum

    14.09.2012

© Musikreviews.de