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Dead End Kings, oder: Aus dem atmosphärischen Königtum in die kreative Sackgasse?
Mit ihrer besonderen Form von Melancholie haben KATATONIA sich längst ein Monopol geschaffen. Eine diffuse Körperlosigkeit umweht ihre traurigen Hymnen, die spätestens für "Night Is The New Day" zur urbanen Kunst erklärt wurden; wie Mauerhall fegten die Stücke durch eine Szenerie aus alten Gebäuden und durch den Nebel aufsteigender Kanalisationsdämpfe hindurch. Was derartige Bilder aussagen, fangen KATATONIA in ihren zunehmend ausgefeilten Werken ein.
Das Ende der Fahnenstange ist aber erreicht. Das letzte Album war für sich genommen gewissermaßen "perfekt", fast schon zu sehr: Manchem erschien das Klinische darin als Widerspruch bei einer Band, die sich schließlich in den düsteren Ecken der Welt ihre Muse fängt und entsprechend Dreck schlucken soll. Doch auch ohne in direkten Kontakt mit dem Schmutz nächtlichen Stadtlebens zu geraten, wirkte "Night Is The New Day" mit seiner distanzierten, observierenden Engelsperspektive intensiv auf die Gefühlswelt ein. Wie könnte man diesen Effekt noch weiter abrunden? Ein weiteres Album, das sich so schmeichelnd darum bemüht, die Traurigkeit beim Hörer zum Vorschein zu bringen, müsste schließlich irgendwann abstumpfen und redundant werden. Es würde sich dadurch eher von den Emotionen distanzieren, anstatt noch tiefer in sie einzudringen.
Und in der Tat: Wenn Jonas Renkse seine inzwischen durchschaubaren Gesangslinien anbringt oder die wieder gleich strukturierten Metal-Riffs Düsternis zu beschwören versuchen, tritt für Vertraute des Backkatalogs ein Gewöhnungseffekt ein, der so nicht beabsichtigt sein kann. Es dauert nur Sekunden, da schmachtet Renkse "In the weak light…" und es erblühen blumige Muster auf dem inneren Auge, die allerhand Déjà-Vus zum Vorschein bringen: Das kennt man doch schon? Und so formen sich bereits nach wenigen Augenblicken erneut die bestimmenden Anlagen eines ergreifenden, gleichwohl vorhersehbaren KATATONIA-Werks, das mit den letzten beiden Alben die gleichen Wesenszüge teilt. Es verbittert, es macht wütend, es verströmt Trauer, sogar eine gewisse Süße, die von der immer zuletzt sterbenden Hoffnung stammen könnte. Aber all das gelingt ihr nicht zum ersten Mal, es geschieht einfach… schon wieder.
Inwiefern sich KATATONIA der Gefahr der Selbstwiederholung bewusst sind, kann nur spekuliert werden. Fakt ist, sie opfern die geschlossene Stadtatmosphäre des Vorgängers und lassen sich trotz der zuverlässig durchscheinenden DNA auf Experimente ein. "Dead End Kings" ist ein von orchestralen Streichern dominiertes Album; so sehr, dass eine Melodielinie, die sich durch das Schlussviertel von "The Parting" zieht, anfangs wie eine Geige anmutet, sich dann aber doch als Gitarre entpuppt. Großzügig wird auch Platz gemacht für sanfte Momente, in denen einem perlenden Piano Platz geschaffen wird. In der ersten Minute von "The Racing Heart" beispielsweise rafft sich all das zu einem langen Innehalten zusammen, bevor wie aus dem Nichts ein Refrain ins Arrangement gezimmert wird, der in seiner emotionalen Sogkraft so typisch für die Schweden ist und auf ähnlich schlichte Art derzeit wohl nur noch von ANATHEMA und SWALLOW THE SUN geschaffen werden kann.
Gewissermaßen tragen die elf Stücke damit einen Zweikampf aus: Der experimentelle, verkopfte Teil, der am Ende nicht einmal vor unzweifelhaften TOOL-Reminiszenzen zurückschreckt ("Dead Letters"), steht irgendwo im Widerspruch zu der Anlage der Band, Stimmungen mit einfachsten Mitteln zu erzeugen. Immerzu scheint sich das Songwriting gegen die Stagnation zu stemmen, ohne sie aber ganz aushebeln zu können. Nicht, dass die neuen Elemente nicht gekonnt arrangiert wären; im Gegenteil bringen sie wunderbar funktionierende Neuerungen ein. Angesichts der dominanten Anlage übernehmen sie jedoch niemals das Regiment, sondern lassen sich von Renkses Harmonien führen, die hier ob ihrer Gleichförmigkeit zur Masche zu verkommen drohen.
FAZIT: "Dead End Kings" wirkt weniger geschlossen als sein Vorgänger, hatte aber auch gar nicht die Option, so geschlossen zu sein, ohne gleichzeitig zum Duplikat zu werden. Mühelos hätten KATATONIA ein weiteres "Night Is The New Day" aufnehmen können, davon geben haufenweise ergreifender Melodien Aufschluss, die sich hier verbergen. Dass man dieser Sackgasse entkommen wollte, davon zeugt nebst Titel der Versuch, gewisse Strukturen neu anzusetzen und zu variieren. Doch die Trademarks sind zu stark, als dass man sie einfach so unter den Teppich kehren könnte. Ein wiederum wunderschönes, aber mit sich selbst haderndes Album.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.08.2012
Niklas Sandin
Jonas Renkse
Anders Nyström, Per Eriksson
Daniel Liljekvist
Peaceville / Edel
48:42
24.08.2012