Den kommerziellen Erfolg mal ganz außen vor gelassen, war „Shallow Life“ vor zwei Jahren künstlerisch gesehen ein ziemlich laues Lüftchen. Bemerkenswert, dass LACUNA COIL dennoch an dessen Marschrichtung festhalten und jetzt einen zwar ähnlich gestrickten Nachfolger nachlegen, der aber in allen Belangen besser auf den Punkt kommt.
So hat sich der leicht orientalische Touch offenbar dauerhaft in den Sound eingenistet, was insbesondere bei Cristina Scabbias Gesang zu beobachten ist. Er bleibt eine Ahnung im Hintergrund (der orientalische Touch, nicht der Gesang), wird aber diesmal erfreulicherweise nicht von Langeweile überspielt, sondern von der Kraft und Kompaktheit, durch die fast alle Nummern geprägt sind.
Schon der Einstieg gestaltet sich mit „Trip The Darkness“ extrem griffig. Ob nun “Follow Me” oder “Come To Me” geschmachtet wird, lyrisch badet „Dark Adrenaline“ natürlich weiterhin in wütend-traurigen Emo-Arealen aus der Konservendose, aber die Riffs reißen durchaus mit und wären in den 90ern wohl echte Gassenhauer gewesen. „Against You“ bemüht sich mit pathetischer Mehrstimmigkeit im Refrain darum, den Spektakelfaktor aufrecht zu halten und ist damit auch relativ erfolgreich.
Natürlich fühlt sich auch die sechste Platte der Italiener noch gewissen Konventionen verschrieben, die vor zehn Jahren noch unumstößliches Gesetz waren. Kuscheliger muss es mal werden, dann wieder härter, um das Gleichgewicht zu wahren. Ein konstanter Zufluss von elektronischen Elementen mit einem Hauch von Spätachtziger-EBM und Darkwave sorgt für ein abrundendes Gesamtbild. So lässt sich das notorische, aber perfekt umgesetzte Befolgen der Regeln im Jahr 2012 fast schon als Retro-Akt interpretieren. Denn Mainstream-Rock und –Metal haben sich seit den Anfängen von LACUNA COIL durchaus ein wenig weiterentwickelt und ließen heute auch alternative Optionen zu, aber „Dark Adrenaline“ ist experimentfreier Konservativ-Metal aus voller Überzeugung.
Erstaunlich dabei ist, dass genug Ideen in die Platte geflossen sind, dass selbst die zu überwindenden Must-Do-Tracks (wie das langweilig arrangierte „End Of Time“) erträglich genug sind, dass man sie nicht skippen muss, obwohl sie nicht so abgerundet sein können wie die Vorzeigestücke.
Ein Highlight bildet „Upside Down“, denn hier traut sich Scabbia mal einen etwas anderen (beinahe „ägyptischen“) Gesangsstil zu, der ihr verdammt gut steht, während die Gitarren ungewohnte Akzente setzen (einmal meint man kurz, etwas MESHUGGAH-artiges sich aufbäumen zu sehen – das natürlich noch im Aufbau begriffen wieder zerfällt, aber immerhin). Geschmackssache ist das R.E.M.-Cover „Losing My Religion“, zumindest aber grenzt es sich deutlich vom Original ab und klingt nach einer eigenen Vision, die sich natürlich wieder sklavisch den Dogmen unterwirft, unter deren Bann auch die anderen Stücke stehen.
FAZIT: Wem „Shallow Life“ zu langweilig war: Reinhören bei „Dark Adrenaline“ empfiehlt sich. Durchgängig wirken die Kompositionen jetzt ausgereifter als auf dem ziellosen Vorgänger. Nach 90er-Maßstäben würde man das fast als „Modern Metal“ bezeichnen können. Heute ist es ausgefeilter, gleichwohl immer noch glatter Nostalgie-Metal mit hoher Hitdichte für alle, die mal wieder gerne zehn Jahre jünger wären.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.01.2012
Marco "Maki" Coti Zelati
Cristina Scabbia, Andrea Ferro
Maus, Cristiano "Pizza" Migliore
Marco "Maki" Coti Zelati
CriZ
Century Media
45:10
20.01.2012