„Das ist das beste Album, das ich jemals für LILLIAN AXE geschrieben habe.“ Sagt Steve Blaze, Gitarrist und Kopf der US-Hardrock-Legende über „XI – The Days Before Tomorrow“. Und, mal ehrlich, man ist doch immer wieder ein wenig peinlich berührt, solche Statements zu lesen, wenn man sich das bisherige Schaffen der Band vor Augen führt. Das beinhaltet nämlich mit dem selbstbetitelten Debüt, „Love And War“, „Poetic Justice“ und „Pyschoschizophrenia“ vier Scheiben, die man als qualitätsbewusster Hardrock-Fan unbedingt kennen sollte – die aber andererseits schon mindestens 19 Jahre alt sind. Die letzten drei Studio-Alben, die man nach langer Funkstille in den letzten fünf Jahren veröffentlichte, waren allenfalls gutklassig, keinesfalls essenziell, und mit allerhand Füllmaterial bestückt.
Entsprechend vorsichtig ist die Herangehensweise an Album Nummer elf – bei der Zählweise sind allerdings auch Compilations und Live-Alben berücksichtig. Und, wer hätte das gedacht: Man wird auf Anhieb positiv überrascht. Der neue Sänger Brian C. Jones ist mit einer variablen und warmen Stimme ausgerüstet – er kann zwar nicht zu 100 Prozent in die Fußstapfen von Ron Taylor treten, ist aber fraglos eine deutlich bessere Wahl als es beispielsweise Ex-METAL-CHURCH-Röhre Ronny Munroe jemals hätte sein können, der kurzzeitig hinter dem LILLIAN-AXE-Mikro stand.
Mit Jones hat Steve Blaze einen Frontmann gefunden, der seine stimmungsvollen, intensiven, teilweise melancholischen und traurigen Songs bestens umsetzen kann. Insgesamt orientiert sich das Album eindeutig an „Psychoschizophrenia“, mit dem die Band 1993 in bis dahin unbekannte Härtegrade vorstieß. Wer vornehmlich an den früheren Alben hängt, der könnte seine Probleme mit „XI – The Days Before Tomorrow“ bekommen. Vom schmeichlerischen, melodisch-melancholischen Hardrock mit Hooks ohne Ende ist die Band aus New Orleans ein Stückchen weit entfernt. Wie auf „Psychoschizophrenia“ dominiert rauer, an der Grenze zum Metal balancierender Hardrock, zeitgemäß interpretiert, hier und dort mit einer Prise Alternative Rock angehaucht – aber immer noch intensiv-melodisch.
Zwar finden sich immer wieder Reminiszenzen an die eigene Vergangenheit – akustische Gitarrenklänge, traurige Pianomelodien, Halbballaden – die auch auf „Poetic Justice“ brilliert hätten, doch insgesamt klingt das Album wie der große, erwachsene Bruder von „Psychoschizophrenia“. Höhepunkte? Reichlich! Das Auftakttrio „Babylon“, „Death Comes Tomorrow“ (Gänsehaut-Gesangs-Melodie!) und „Gather Up The Snow“ bereitet den Boden für „The Great Divide“, dem Überhit des Albums, das Drumfiguren aus dem Alternative Rock und lässig schrubbende Rhythmusgitarren mit einer zum Niederknien schönen Gesangslinie und typischen LILLIAN-AXE-Leadgitarren verbindet.
Mit „Bow Your Head“ gibt es eine Band-typische, intensive (Halb)-Ballade, „My Apologies“ hat Steve Blaze für seinen Sohn geschrieben und ist entsprechend persönlich ausgefallen – schade, das Jones ausgerechnet bei diesem Song den Anfang ein wenig verhunzt. „Soul Disease“ und „Lava On My Tongue“ schaffen spielend den Balanceakt zwischen eigener Vergangenheit und der Gegenwart, bieten diese Göttermelodien, die im Hardrock-Bereich kaum eine andere Band wie LILLIAN AXE zu produzieren in der Lage ist, ohne sich dabei auch nur ansatzweise an der Kitsch-und-Käse-Theke zu bedienen. Einzig das aufgesetzt-harte „Caged In“ verfehlt seine Wirkung, kommt mit seinen Screams und hektischem Aufbau ein wenig befremdlich daher.
FAZIT: Nein, „XI – The Days Before Tomorrow“ ist nicht das beste LILLIAN-AXE-Album. Aber es ist definitiv das beste Album seit 1993. Und das ist viel, viel mehr als man von der Band noch erwarten durfte. Kaufen!
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.01.2012
Eric Morris
Brian Jones
Steve Blaze, Sam Poitevent
Steve Blaze
Ken Koudelka
AFM Records
50:37
27.01.2012