Da Frauen und Rockmusik heute allenthalben noch bei besonders prüden Zeitgenossen für hochgezogene Augenbrauen sorgen, dürfte sich LITA FORD vermutlich freier denn je vorkommen, zumal die Dame ohnehin nie zu den Casting-Sternchen mit mangelndem Talent gehörte, die sich auch während der Achtziger schon im Geschäft tummelten.
Was bringt also das neue Album, auf das beileibe nicht die ganze Welt wartet? Zunächst hat Gary Hoey der Ikone einen frischen Sound angedeihen lassen („The Mask“ oder „Relentless“ haben einen klitzekleinen Industrial-Touch), ohne sich der flüchtigen Moderne zu ergeben, und das Gros der Songs kompositorisch mit FORD und Michael Dan Ehmig gestemmt beziehungsweise alle arrangiert und produziert. Zweitens sind die Texte angenehm gehaltvoll und keine plumpen Reihungen von Floskeln. So langweilen die Tracks auch abseits der Refrains nicht, wie es bei vielen alten Hasen der Fall ist. „Hate“ etwa wartet mit coolen, vom Bass dominierten Strophen auf und gipfelt in einem nachdenklichen Chorus.
Das Titelstück ist überraschenderweise ein sachter wie gelungener Versuch im Gefilde der Singer-Songwriter, mit dem FORD fast nach Sheryl Crow klingt, auch wenn das Solo eindeutig Hardrock-Handschrift trägt. „Mother“ (den eigenen Söhnen gewidmet) stößt in die gleiche Richtung, und diesen Ausreißern stehen der stilistisch wegweisende Opener „Branded“ und das stampfende „Devil In My Head“ gegenüber, das düstere Untertöne hervorkehrt und mit akustischer Gitarre zwischendurch ausgesprochen dynamisch ausfällt. Am ehesten in die Achtziger zurück schielt „Asylum“ mit seinem Stadion-Rock-Gestus und den Twin-Leads, bevor Hoey und FORD den unaufgeregten Radio-Anbiederer „Love 2 Hate U“ gemeinsam intonieren. Unfreiwillig legt die Musikerin mit der krampfhaft zeitgeistigen Kollaboration „A Song To Slit Your Wrists By“ Zeugnis davon ab, dass man Nikky Sixx längst hätte die Finger brechen müssen. Den Mann braucht bereits spätestens seit dem zweiten MÖTLEY-CRÜE-Album kein Schwein mehr.
FAZIT: „Living Like A Runaway“ ist ein glaubwürdiges Album einer integeren Künstlerin geworden, das gut zu zwei Dritteln aus guten Heavy-Rock-Stücken besteht, LITA FORD aber vermutlich keine neuen Fans bescheren wird. Alt und Neu vermischen sich hier zu zwei Handvoll Kompositionen, aber zu wenig Packendem, keinem Hit und viel selbstgenügsamem Musizieren mit großem Budget. Was nervt: Digipack-Bonustracks, iTunes-Bonustracks, bla bla bla …
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.06.2012
Gaey Hoey
Lita Ford, Gaey Hoey
Lita Ford, Gaey Hoey
Matt Scurfield
Steamhammer /SPV
41:00
15.06.2012