Harte inhaltliche Kost: Schon der Vorgänger „State Of Nature“ befasste sich mit der Conditio Humana im Rahmen eines verbitterten Krieges, und mit ihrem neuen Album zeichnen MAN MADE ORIGIN eine Dystopie, in der das Römische Weltreich nie untergegangen ist und in ferner Zukunft 22 weitere Planeten besetzt. Natürlich gibt es eine Minderheit, die etwas dagegen hat, und von den Herrschenden als in der Bibel beschriebenes, von ihrem Gott auserwähltes Volk angesehen wird. Im übertragenden Sinn geht es dabei um einen Kampf des Marxismus gegen den schließlich siegenden Kapitalismus. Dazu hat Max Taylor ganz nebenbei mit zwei weiteren Autoren ein 200-seitiges Buch mit Geschichten verfasst, die in diesem Universum angesiedelt sind. Unglaublich? Ziemlich, aber die Musik dazu ist ebenfalls nicht zu verachten.
Die Schotten zeigen sich eindeutig vom Werk progressiver Black- und Death-Metal-Bands beeinflusst, hören sich aber mitunter auch wie eine Post-something-Combo an. Der relativ kompakte Opener (acht Minuten) macht dies geltend, indem rasende Riffs vor stets kontrolliertem Drumming zuerst mit heiserem, dann kraftvoll melodischem Gesang verbunden werden, der jeweils an die Knurrhähne diverser Core-Geschichten und zeitgenössischen Artrock wie PAIN OF SALVATION erinnert. Mit dem etwas kürzeren Titelstück schaffen sich die Musiker gleich den straighten „Ballast“ vom Leib; es handelt sich um ein forsches Geschoss mit einem Hook, das aus OPETHs Frühphase stammen könnte.
Im sachten, nach naturverbundenen AGALLOCH klingenden „Legion of the Lost“ lässt Sarah Coloso erstmals gemeinsam mit Taylor ihre Altstimme erklingen. Die geschlagenen unverzerrten Gitarren und das treibende Drumming machen eine Art Singer-Songwriter-Stück daraus, doch ab der Hälfte werden die Regler erneut hochgefahren, und die beiden schrauben sich zu einem Gänsehaut verursachenden Duett hoch – Anspieltipp! „Uncharted Space“ ist ein kürzeres Zwischenspiel im gleichen Gestus mit etwas weiblichem Gesäusel, quasi der beruhigende Nachsatz dazu …
… welcher Großes ankündigt: „Redemption“ startet verhalten, wird aber schon früh wiederholt von hämmernden Passagen und flammenden Leads durchzogen, wenn der Sänger still bleibt. Eine Akustik-Bridge wird langsam ausgebaut, bevor geschriene Textpassagen zu einem schwer doomigen Ende hinleiten. „The Betrayal“ klingt hinterher manisch – mit galligen Vocals, begleitet vom Raunen der im Übrigen selten aufspielenden Keyboarderin. Dieses Stilelement zieht sich prägend durch den Track, der andererseits so narrativ gestaltet ist, dass er sich fortwährend ohne Widerkehr zu bereits Etabliertem wandelt. Der rote Faden ist indes die beeindruckende Spannungskurve nebst einigen äußerst markanten Textzeilen, die dem Hörer etwas zum Festhalten geben.
Mit dem 20-minütigen Epos „Into The Darkness“ ziehen MAN MADE ORIGIN erwartbar alle Register und zugleich aus die Schubladen bis zum Anschlag aus dem Genre-Schrank. Der Beginn gemahnt hin und wieder an die weniger verstiegenen NEUROSIS, bringt aber auch fast mathematisch virtuose Licks und schwelgerische Melo-Doom-Passagen zu Gehör, wie man sie aus dem benachbarten England der Neunziger vernommen hat. Die Band baut den Track behutsam auch – die dynamische Produktion begünstigt dies – und endet in psychotischen Stakkatos mit FAITH-NO-MORE-verdächtiger Stimm-Akrobatik: ein nicht zu überbietender, für die Geschichte jedoch eher ambivalenter bis tragischer Schluss, möchte man meinen.
Was nach mehrmaligem Hören (unabdingbar) als Eindruck zurückbleibt? MAN MADE ORIGIN muss man sich erarbeiten, denn gleichwohl ihr Stil nicht unbekannt ist, gebieten die komplexen, mäandernden Strukturen nichts anderes, als den Kopfhörer aufzusetzen – und die Beschäftigung lohnt.
FAZIT: „False Consciousness“ lässt die Herzen von Fans vergeistigter Konzepte ohne leere Blasen höherschlagen und gefällt auf musikalischer Ebene mit beeindruckend verzahnten Kompositionen in die Stoßrichtung der jüngeren IHSAHN-Sachen mit einem Schuss Frühneunziger-Peaceville-Mucke und amerikanischem Schlaumeier-Gebrüll.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.11.2012
Aaron Middleton
Max, Taylor, Sarah Coloso
Dave Clement, Max Taylor
Sarah Coloso
Andrew Gavine
Eigenvertrieb
61:37
07.09.2012