Bevor sie zu ENORM wurden, brachten MARATHON aus den Niederlanden drei Alben heraus, und dieses Schlüsselwerk im Katalog der Band wurde nun vom rührigen Label Freia neu gemastert, wobei man als Hörer staunt, wie wenig Staub das zuweilen recht kraftvolle Material von 1994 angesetzt hat.
Dies gilt auch mit Hinblick auf den allerorts mitunter zu aseptisch tönenden Keyboard-Prog, dem sich die Musiker verschrieben haben. Im Grunde genommen war „The First Run“ seinerzeit eine Ersatzdroge für die schwächelnden Kanadier SAGA, wenngleich die Tasten-Sounds weniger Grell klingen und Erik ten Bos kein exaltierter Sänger wie Michael Sadler ist. Vielmehr steht er auch von der Melodieführung her praktisch zwischen Hogarth und Fish, was im pompösen Rahmen (man höre die Fanfaren während „Man In The Mirror“) eine interessante Mischung ergibt. Das sämige Fast-Instrumental hinterher rutscht durch, und „Medicine Man“ zeigt ein Problem des Neo Prog generell auf: Die Protagonisten komponieren oft zu verstockt, denn was hätte man aus dem anfänglichen Voodoo-Trommeln alles tun können im Zusammenhang mit der Thematik des Textes, so man seinem Genre nicht sklavisch verhaftet wäre?
So bleiben MARATHON ihrem oder besser gesagt dem Stil anderer weitgehend treu, aber auf ansprechendem Niveau. Der virtuose Stadion-AOR von „I'll Be There“ und „Open Field“ bezeugt dies ebenso wie die positiv kitschige Ballade dazwischen. Vermutlich hätte sich die Band lieber stringent der kompakteren Spielart verschrieben, denn ihr Longtrack „The Patterns Of The Landscape“ ist nicht gerade packend ausgefallen, sondern selbstverliebt. Dass dieses Debüt dennoch über dem Durchschnitt rangiert – dafür garantieren das ergreifende „Red Ride“ (erstaunlich schmutziges Gitarrenspiel) und der Uptempo-Popper „A Wall“.
FAZIT: „The First Run“ ist zumindest im niederländischen Prog ein Klassiker, der auf internationalem Parkett nicht schlecht dasteht und wenigstens Szene-Bescheidwissern ein Begriff sein sollte. Packende Hooks haben MARATHON nicht immer auf Lager, aber ihre Kompositionen sind mit Hand und Fuß versehen. Die Nachfolgeband – das sollte man nicht verschweigen – ist mit ihrem weiter gefassten Einflussschatz am Ende aufregender; alles andere wäre auch tragisch für einen auf Fortschritt ausgerichteten Künstler …
Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.12.2012
Jacques Suurmond
Erik ten Bos
Ronald ten Bos
Tony ten Wolde
Willem van der Horst
Freia Music
67:57
06.07.2012