Szene-Prog geht live kein Risiko ein … oder wie ist es zu erklären, dass die meisten Bands beim Einspielen von Live-Scheiben auf Nummer sicher gehen und Bastionen für ihre Mitschnitte aussuchen? Dies taten nämlich ebenfalls die mittlerweile auch schon länger im Hamsterrad laufenden Amerikaner von MARS HOLLOW für dieses Konzertalbum, das auf einem der Schlüsselfestivals entstanden ist.
Das sehr ELP-ige „Wait For Me“ und „Midnight“, ein kleines Hook-Wunder, insbesondere für den Klang-Boliden der Siebziger verhaftete Musiker, zitieren die selbstbetitelte Platte der Band, bevor MARS HOLLOW mit dem Titelstück von „World In Front Of Me“ den Beweis dafür antreten, dass sie bei allem Achten aufs Setzen der richtigen Töne Spaß auf der Bühne haben: ein Einsatz erfolgt auf Zuruf, die Instrumentalisten gehen hörbar dynamisch aufeinander ein, und Frontkrähe John Baker trägt engagiert, aber nicht glatt perfekt vor. Im Live-Set zeigt sich ferner, wie gut selbst die Longtracks arrangiert wurden. Das Ausschweifende liegt der Gruppe nicht etwa deshalb, weil es eben so sein muss in der Szene, sondern weil es für ihren Ausdruck notwendig ist.
Deshalb wirken MARS HOLLOW selbst während dieser Marathons sehr entspannt und schießen das Komplexe locker aus der Hüfte. Die beschwingt erzählerischen Parts von „Eureka“ befremden in diesem Kontext nicht etwa, sondern machen Progressive Rock als solchen eigentlich aus, denn aller Zitatfreudigkeit („Weapon“: zwischen mittleren GENESIS und GENTLE GIANT?) zum Trotz zieht diese Combo ihr eigenes Ding durch und hat dazu keine Scheuklappen angelegt.
Das düstere „Voices“ stellt in seiner Knappheit ein leicht übersehbares Highlight der Scheibe dar, die im Übrigen klanglich ordentlich, aber eindeutig nicht nachbearbeitet anmutet. „Dawn Of Creation“ ist vielleicht ein wegweisendes Stück im Oeuvre von MARS HOLLOW, weil es Bakers Einflüsse bündelt und zugleich sein Gespür für griffige Motive bezeugt – gleich mehrmals auf fast viertelstündiger Distanz. Der Studio-Bonustrack „So Far Away“ ist eine traumschöne Ballade, die tatsächlich auch von den RUSH der Neunziger stammen könnte – toll!
FAZIT: Mit „Live RoSfest 2011“ liegt eines der für 2012 rundesten Live-Alben der Untergrund-Prog-Riege vor. MARS HOLLOW lieben, was sie in der Geschichte ihres Genres aufgesogen haben, und treffen mit diesen Vokabeln Eigenaussagen, die den Hörer persönlich ansprechen – alle anderen instrumentalen Redner dürften sich beim Klang-Faseln eigentlich nicht mitschneiden lassen.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.12.2012
Kerry Chicoine
John Baker
John Baker
Steve Mauk
Jerry Beller
Fingerwoven / Just For Kicks
64:34
21.09.2012