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Nachtblut: Dogma

Stil: Dark Metal

Cover: Nachtblut: Dogma

Ich hätte gute Lust,
denn ich hab großen Frust,
in Reim den Text zu kleiden,
viel musst' ich erleiden!

Tja, wo anfangen? Eigentlich bin ich gar nicht so böse. Aber da habe ich schon was mit NACHTBLUT gemeinsam. Sie wären gern böse. Und hasserfüllt und provokant sowieso. Und todtraurig und eisern auf ihrem Weg durch die Dunkelheit.

Dark Metal mit deutschen Texten und NDH sind ohnehin oft Zielscheibe des Spotts, aber NACHTBLUT steigen dann einfach in zu viele Fettnäpfchen, um sich auf ihrem Labeldebüt noch glaubhaft verkaufen zu können. „Dogma“ riecht volle Hose nach Kommerz. UNHEILIG haben die Lichter der Stadt angemacht und die ziehen nun allerhand Nacheiferer an (die im Falle von NACHTBLUT aber offensichtlich durchaus eine Fangemeinde erspielen konnten).

Wenn man kleinlich ist, könnte man schon beim Artwork und dem großspurigen Titel mit dem Nörgeln anfangen. Der Herr auf dem Cover bekommt einen Eintopf aus Dornenkrone, Kreuz, Schwert und Wasweißichnoch in den Schädel implantiert. Dazu posiert die Band als geschniegelte, brave Ausgabe von DIMMU BORGIR. Logisch, Jungfrauen, Pentragramm, umgedrehte Kreuze, blutige Innereien, alles am Start, und dann hat ausgerechnet Fräulein Lymania auf dem Promofoto ihren Rosenkranz richtig rum um den Hals hängen... Man könnte das als Sinnbild dafür nehmen, wie aufgesetzt das Image von NACHTBLUT wirkt und wie offensichtlich sie versuchen, es allen (im Promo als „die Clubszene“ bezeichnet) recht zu machen, aber zwischen allen Stühlen sitzen bleiben. Trendy und massenkompatibel, gleichzeitig hart und authentisch und zudem provokant und sozialkritisch? Ein Spagat mit drei Beinen ist für Menschen verdammt schwierig. Eigentlich geht mir das aber sonst wo vorbei, schließlich spielt hier ja Musik.

Und da bedient sich NACHTBLUT bei allem, was auch der RTL 2-Gucker noch kennt. UNHEILIG eben, ein bisschen RAMMSTEIN, ein bisschen Gothic, hier und da sogar mal Black Metal. Die Produktion erinnert zwar irgendwie an THE VISION BLEAK, aber bei „Dogma“ kommt meterdick Keyboardkleister drüber, wodurch den Gitarren der letzte Zahn gezogen wird.

Der kleine Unterschied, der Härte vorgaukelt, ist das hoch-tiefe Wechselgeschrei. Das hohe Kreischen erinnert dummerweise an Stumpen, und sollten NACHTBLUT ihr Treiben noch erfolgreicher fortsetzen, schwant mir schon eine KNORKATOR-Parodie.

Das bietet sich auch songschreiberisch an. Im Falle von „Rache“ oder „Busssakrament“ muss ein schaler RAMMSTEIN-Aufguss herhalten, ansonsten gibt es Riffs von der Stange, die nicht mal mit Alleskleber irgendwo hängen bleiben wollen. Die radikale Belanglosigkeit wird von den Keyboardharmonien komplettiert. Immerhin, das muss man auch sagen, klingt das elektronische Ende von „Mein Herz in ihren Händen“ überzeugend. Vielleicht einfach die Stilrichtung in Dark Wave ändern?

Synthetische Instrumente müssen auch für Orgel-, Streicher- und Cembaloklänge herhalten. Verständlich, denn bei den ungeschickten Arrangements wären lebende Musiker schreiend davongelaufen. Bis hierhin kann man aber noch von unterdurchschnittlicher Massenware sprechen, die man dem Volk in der Gothic-Disco schon mal unterjubeln kann. Schließlich ist zumindest der Songaufbau immer hitkompatibel. Durchfall im doppelten Sinn erzeugen die Texte.

Kommen „Dogma“ und „Der Weg ist das Ziel“ noch als typisches „Simplify your satanism“ und „Wer uns kritisiert ist zu blöd, uns zu verstehen“-Gewäsch daher, das man achselzuckend hinnimmt, wird’s bei „Ich trinke Blut“, einer schönen (ja, auch musikalisch am besten geraten!) neuen Titelmelodie für „Der kleine Vampir“, lustig. Das kann auch die Band nicht so ernst nehmen, wie sie kuckt. Der Jimi Blue Ochsenknecht-Rapstil bei „Eisprinzessin“ führt dann zu Lachanfällen und gleichzeitigem körperlichem Unwohlsein. Das können die doch nicht ernst reimen, denkt man ein ums andere Mal. Kann man solch lyrische Tieffliegerei („Dein Aussehen ist dein größter Schatz/ Weil du außer dem nichts zu bieten hast/ Mit deiner ganzen Art und dem erhob'nen Blick/
Erhoffst du dir doch nur einen schnellen ...“) nicht den Gangstern dieser Republik überlassen? Man könnte den Frust über einen erhaltenen Korb auch einfach in einem bissigen Riff entladen, wäre das nicht mal einen Versuch wert?

Mit „Rache“ beginnt man, sich von Sinngehaltserwartungen zu verabschieden und die Reime zu raten. Das ist nicht schwer, denn wo Till Lindemann einen doppelten Boden eingebaut hat, verwenden NACHTBLUT Falltüren, die in inhaltliche und lyrische Untiefen führen („Heute ist die Rache mein/ In Trauer lass ich sie allein/ Nur die Besten sterben jung/ Jung, jung, jung, blutjung/ Heute Nacht bring ich mich um (Fidibum...) […] Alles Leben geht nun weiter, nur das Meine nicht/
Für die Lebenden sind die Toten unwichtig“).

Das Singen über Selbstmord, Mord, Hass, Sex, Gewalt usw. wird zwar auch im Metal diskutiert, oft aber toleriert oder begrüßt und mit künstlerischer Freiheit begründet. Dazu kann jeder stehen, wie er will. Mich persönlich interessiert ein unverständlich gerülpster Fantasietext von CANNIBAL CORPSE einen Dreck, und komischerweise komme ich auch mit RAMMSTEIN-Lyrics klar, mit „Busssakrament“ dagegen nicht. Vielleicht, weil hinter ersterem überzeugende Musik steht, vielleicht, weil letzteres sexuellen Missbrauch durch Geistliche in der katholischen Kirche (wahnsinnig provokantes Thema auch...) aus Sicht eines Täters so platt und direkt schildert. Provokation 2.0, Kunst, ein Grund zum Fremdschämen wegen fehlenden Respekts gegenüber der Opfer? Ich empfinde das Dritte. Ich kann in dem Text weder Ironie noch eine angemessene Herangehensweise an das Thema erkennen, tut mir leid. Und klar, mit „Vulva“ muss man dann noch einen nachlegen. Hauptsache, man konnte das Ding mal beim Namen nennen und ein wenig schocken. Sex & Crime verkauft sich einfach gut. Sieht man sich die Texte der beiden bisherigen Alben an (u.a. islamkritisch), wird man das Gefühl nicht los, dass hier Freigeist und populistischer Geist zusammenarbeiten.

FAZIT: Gesichts- und drucklosen Kommerz-Pseudo-Metal mit platten deutschen Texten gab es schon öfter. Gesichts- und druckloser Kommerz-Pseudo-Metal mit platten und anstandslosen deutschen Texten ist selten. Herzlichen Glückwunsch!

Punkte: 4/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.07.2012

Tracklist

  1. Dogma
  2. Der Weg Ist Das Ziel
  3. Ich Trinke Blut
  4. Eiskönigin
  5. Rache
  6. Mein Herz In Ihren Händen
  7. Mordlust
  8. Macht
  9. Busssakrament
  10. Vulva
  11. Schritte

Besetzung

  • Bass

    Sacerdos

  • Gesang

    Askeroth

  • Gitarre

    Greif

  • Keys

    Lymania

  • Schlagzeug

    Skoll

Sonstiges

  • Label

    Napalm Records

  • Spieldauer

    50:32

  • Erscheinungsdatum

    25.05.2012

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