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Neal Morse: Momentum

Stil: Progressive Rock

Cover: Neal Morse: Momentum

„You got some new momentum, you better keep on going“, skandiert der Gottesfürchtige NEAL MORSE auf seinem zigsten Album gleich zu Beginn, als hätte er Angst, etwas zu verpassen, und noch eine Menge zu sagen. Letzteres, so gewinnt man auch beim Hören von „Momentum“ den Eindruck, geschieht nicht erst seit gestern in stets ähnlicher, aber letztlich doch vorhersehbarer Weise. Wer aber möchte es dem Säulenheiligen des Retro Prog angesichts der Güte seines Materials verübelnm gerade nach einstweiliger Schlappe im Zuge der glaubensbedingten Eremitage?

Morse schreibt unverkennbare Rhythmus-Arrangements, bei denen es egal ist, wer trommelt (okay, Portnoys Punch ist weder hier noch bei TRANSATLANTIC oder FLYING COLORS wegzudenken) oder Bass spielt (es klingt immer ein wenig nach Chris Squire). Der teilweise fast metallische Titeltrack wird von dem GENTLE GIANT nicht unwürdigen „Thoughts Part 5“ beerbt, mit welchem im Ohr man ganz klar sagen muss, dass SPOCK'S BEARD so ein Ding seit Jahren fehlt, und selbst „Gibberish“ war damals lange nicht so geil. Statt ewig zu dudeln, beschränken sich die melodischen Instrumentalpassagen auf griffige Motive, die nicht länger als nötig ausgewalzt werden. MORSEs Stimme bleibt anscheinend ewig jung (muss am Messwein liegen) und berührt nach wie vor, obendrein diesmal mit allgemeineren Texten, denn das Predigen kann man ihm höchstens dann noch unterstellen, wenn man zwischen den Zeilen liest.

„Smoke And Mirrors“ gerät zur erwartbaren Gänsehaut-Ballade, wobei sich der Sänger durchaus neue Timbre-Nuancen abgewinnen kann. Die minimalistische Instrumentierung tut gut, wo an anderen Stellen erstaunlich düster ein Mellotron schmatzt oder Gitarren überraschend laut krachen. „Weathering Sky“ schert in Richtung der kompakten TRANSATLANTIC-Tracks aus und bietet ein echtes Rampensau-Lick feil, wohingegen das Streicher-Kuriosum „Freak“ den eindeutigen Schwachpunkt der Scheibe darstellt. Einen halbstündigen Longtrack konnte sich MORSE bei so viel Überschaubarkeit natürlich nicht verkneifen.

Bei „World Without End“ drängt sich der Gedanke an „Duel With The Devil“ und Co. logischerweise auf, aber MORSE schlägt einen individuellen Ton an: Das erste Grundriff fällt hart und dramatisch aus, bevor sich ein virtuoses Präludium anfügt, also Prog im sehr klassischen Sinn, aber wie angedeutet immer mit melodischem Verständnis ersonnen. Das schwelgerische Keyboard-Motiv zitiert zwischendurch relativ eindeutig das Allstar-Projekt, doch beginnt der Sänger, seinen Text darzubieten, gewinnt man den Eindruck, die gemeinsame Scheibe mit seinem Namensvetter an der Gitarre habe sich im Solowerk niedergeschlagen – poppig einerseits, aber irgendwie auch leicht sleazy und dadurch ungemein nahbar. Die Stimmung wandelt sich vornehmlich in den Parts ohne Gesang, bevor MORSE sie stimmlich und stimmig aufgreift, zum Ende hin dann auf melancholische Art, doch das Songmonster endet auf einer kämpferischen oder zumindest zuversichtlichen Note und gehört zum Besten seit langem mit dieser … äh Länge aus dem Hause des Barden.

FAZIT: Egal was auf dem Cover steht: „Momentum“ könnte prinzipiell von den Bärten oder der transatlantischen Koalition stammen. NEAL MORSE erlebt in seinem soweit abgesteckten Feld einen neuerlichen Frühling, und da muss man nicht auf irgendwelchen Glaubensfragen herumreiten.

Punkte: 12/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.09.2012

Tracklist

  1. Momentum
  2. Thoughts Part 5
  3. Smoke And Mirrors
  4. Weathering Sky
  5. Freak
  6. World Without End

Besetzung

  • Bass

    Randy George

  • Gesang

    Neal Morse

  • Gitarre

    Neal Morse

  • Keys

    Neal Morse

  • Schlagzeug

    Mike Portnoy

Sonstiges

  • Label

    Inside Out / EMI

  • Spieldauer

    61:10

  • Erscheinungsdatum

    07.09.2012

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