Ein dramatisches, ein tragisches Album!
Aber nicht das Konzept rund um die Wikinger ist das wahrhaft Tragische daran, sondern der überraschende Tod des Keyboarders, Gitarristen, Texters und Komponisten vom NEW EDEN ORCHESTRA, MIKE LUNN, dem die amerikanische Band dieses Album nicht nur widmete, sondern zugleich auch die bis dahin noch unveröffentlichten Kompositionen des Verstorbenen musikalisch aufarbeitete. Eine musikalische Hinterlassenschaft, zum Leben erweckt, während dessen geistiger Vater im Jahr 2009 verstorben war: „Mike has inspired the creation of music in all of us.“
Nun kann man nicht wissen, ob MIKE LUNN mit diesem Erbe wirklich einverstanden wäre. Unvollkommenes hinterließ er. Eine Vervollkommnung erfuhr die Musik nun ohne ihn … Erbschaft oder Leichenfledderei? LUNN kann darauf keine Antwort mehr geben, die Antwort seiner Band dagegen ist eindeutig, wie der abschließende Satz des vorherigen Absatzes eindeutig beweist! „Vikings“ ist die musikalische Grabinschrift für MIKE LUNN.
Darum sollte man alles Emotionale beim Hören dieser CD wohl erst einmal vergessen und die Musik für sich selbst sprechen lassen. Doch spätestens wenn der Hörer erfährt, dass der Verstorbene ein großer Fan von YES, GENESIS, ELP, KANSAS, PINK FLOYD und GENTLE GIANT war, wird jedem klar, wohin die letzte Musik-Reise geht. In diesem Falle sind die besonderen Bezugspunkte aber ELP und KANSAS, auch wenn die anderen Verdächtigen vereinzelt nur sehr kurz anklingen.
In mir ruft „Vikings“ recht gemischte Gefühle hervor. Da ist einerseits die instrumentale Seite des Albums, welche mir relativ gut gefällt, andererseits aber auch die gesangliche, welche mir deutlich weniger behagt. HEIDI ENGEL und ANDY SHAW zeichnen sich für den Gesang verantwortlich – doch wirklich Bleibendes hinterlassen ihre vokalen Beiträge nicht. Aber auch das reine Instrumental „Flight To The Coast“, das in die neunteilige Vikings-Suite eingefügt wurde und ein seltsames Eigendasein in diesem zurechtgestückelt wirkendem Musik-Epos führt, entpuppt sich am Ende nur als ein schamloser Selbstbedienungsladen, bei dem EMERSON, LAKE & PALMER hinter der Theke stehen. „Fair Wind To Valhalla“ schließt die Suite mit einem ausgiebigen Duett der beiden Sänger ab, wobei das blechern klingende Schlagzeug den Gesamteindruck nicht gerade hebt. Auch das Ausblenden des letzten „Vikings“-Titels zeugt nicht von viel Einfallsreichtum.
Dagegen überraschen die fünf folgenden, nicht zur Suite gehörenden, Titel schon mehr.
„Anytown“ wartet mit Musik auf, die bei mir sofort Erinnerungen an JON & VANGELIS wecken und dem Album eine völlig neue Wende geben. Eine Wendung hin zum Besseren.
Mittelalterliche Einflüsse und der klassisch anmutende, weibliche Gesang mit starkem Hang zu Arien auf „Final Peace“ setzen weitere Erinnerungen fort, diesmal aber an RENAISSANCE oder THE ENID und auch der geschickt eingefügte Bombast verleihen dem Song einen besonderen Reiz, den man bis zu diesem Zeitpunkt vergeblich suchte. Doch gerade „Final Peace“ ist keine LUNN-Komposition, sondern ein Abschiedssong, den die Band, bzw. HEIDI ENGEL, für LUNN schrieb und musikalisch wie textlich eine traurig-melancholische Ehrung seines Lebenswegs beschreitet. So gesehen wird ein Bonus auf diesem Album zugleich zu dessen Lichtblick. Doch dummerweise ist „Final Peace“ tatsächlich die einzige Komposition, die auf diesem Album nicht aus MIKE LUNNs Feder stammt.
„Super Monkey“ rockt anfangs ziemlich los und bekommt dann eine Melodie verpasst, die auch locker auf einem Album der MANFRED MANN'S EARTHBAND ihren würdigen Platz gefunden hätte.
Die guten Eindrücke setzen sich also fort. Bis dann auf „Katherine Ives“ eine Kombination aus ELP und RENAISSANCE musikalisch verwebt wird. Viel Atmosphäre trifft auf zu wenige Einfälle samt erneuter Ausblendung.
Und so erfährt das Album tatsächlich mit dem letzten instrumentalen Titel „Mike's Final Peace“ seinen Höhepunkt. Wasserrauschen und akustische Gitarre eröffnen das siebenminütige epische Werk, das durchgängig von der akustischen Gitarre getragen wird, die von sanften Synthie-Flächen untermalt wird. Im Booklet erfährt man zusätzlich, worauf der Song-Titel bereits verweist. Zwei Wochen vor seinem Tod komponierte MIKE LUNN diesen für ihn endgültig letzten Titel, der dann auch auszugsweise bei seiner Beerdigung gespielt wurde. Ein traumhaftes, oder besser verträumtes, Stück und zugleich der versöhnliche Abschluss eines nur mittelmäßigen Albums zum Gedenken an MIKE LUNN.
FAZIT: Nicht hinter jeder guten Absicht steckt auch immer gute Musik. Recht austauschbarer progressiver Rock, der seine besten Momente immer dann hat, wenn er weniger nach Prog und mehr nach (mittelalterlichem) Rock klingt.
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.07.2012
Bill Hankins
Andy Shaw, Heidi Engel, Nate Walter (Backing Vocals)
Scott Schrecengost, Bill Hankins, Ken Zeleznik, Mike Lunn
Mike Lunn, Dave Marion
Dave Marion, Mark Reynolds
Eigenproduktion / Just For Kicks
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29.06.2012