Natürlich wissen wir schon längst, dass die Finnen uns in vielerlei Beziehung um Längen überlegen sind. Egal, ob es nun um Bildung oder soziale Strukturen geht – irgendwie haben sie immer die Nase vorn. Vielleicht liegt es daran, dass sie im völligen Gegensatz zu uns nicht ständig schulmeisterlich über Besseres reden, sondern einfach schweigen und Besseres verwirklichen. Es ist die Tat, nicht das Wort, was zählt.
Auch weiß ich nicht, wie viele Alben ich bisher von finnischen Bands besprochen habe – nur, dass es schon sehr viele sind und mich beim Hören immer wieder solche Gedanken überfallen.
Musik aus Finnland ist wie die Suche nach einem Traum, an den man glaubt, aber den man nicht findet – bis man eine „typisch finnische“ CD in seinen Player schiebt und dieser Traum plötzlich erklingt. OCHRE ROOM sind ein klassisches Beispiel für diesen Traum, der musikalisch seine ganze Schönheit entfaltet. Und wenn jemand ein Anrecht auf tiefe Melancholie besitzt, wie man sie sonst kaum aus anderen Gefilden hört, dann ist es dieses finnische Sextett!
Mit „My Summer“ startet dieses melancholie-seelige Album. Zarte gezupfte, elegische Gitarre und trauriger männlicher Gesang lässt uns sofort in diesen Klängen schwelgen. Ein Cello erhebt sich, dazu eine Trompete und eine weibliche Stimme füllen plötzlich den Raum. Doch nicht nur das – auch der Text verblüfft. Hier geht’s nicht etwa um die Schönheiten des Sommers, sondern darum, dass diese Jahreszeit überbewertet wird, denn „Death is all around“. Der wirkliche „Sommer der Seele“ entfaltet sich in diesem Song als Bekenntnis zum Herbst, der seine wundervollen Bilder in der Natur malt und uns nun erst zeigt „Life is all around“! Ein vermeintlicher Sommer-Hit der zur warmherzigen Herbst-Ode wird! Und Musik, die dazu Bilder malt! Wunderschön – wozu OCHRE ROOM hier fähig sind!?!?
Doch auf „Evening Coming In“ ist „My Summer“ keine Ausnahme – sondern der Prolog für all die weiteren schönen Melodien, die begleitet von Celli, Trompeten, Harmonika, Hammond-Orgeln, Pedal Steel, Glockenspielen, lyrischer Poesie und und und ihre ganze „Abenddämmerung“-Schönheit entfalten.
Aber es gibt auch musikalische Ausbrüche, wie „Shooting Ghosts“, wenn die Musik lauter, die Texte radikaler werden. Es geht um Ängste, die man bekämpft und die überall lauern: „And as I walk out of the door / Can I believe my eyes / Some zombi-nazi's pissing / On my home door.“ Wer kennt das Gefühl nicht, wenn jämmerliche, kleingeistige Dumpfbacken einem den Glauben ans Gute nehmen und „watering my hatreds in fears“! Bei OCHRE ROOM wird man nicht nur unterhalten, es erklingen auch Botschaften, die nachdenklich machen sollen. Die dir zeigen, dass der Schönheit unserer Natur leider viel zu oft die Kaltblütigkeit des Menschen entgegensteht.
„Shooting Ghosts“ bleibt in dieser Beziehung nicht die Ausnahme. Hinter dem wundervollen Titel „Little Cloud“ versteckt sich eine traurige Geschichte, die zugleich wütend macht. Ein toter Vogel liegt früh im Schlamm – erschossen von einem Jungen, der stolz mit seiner Waffe aus makaberer Lust die singenden Vögel vom Himmel holt. So erwächst der Wunsch, diesem bewaffneten Jüngling dem gleichen Schicksal wie den gefiederten Freunden auszusetzen. Dazu Musik, die einen zu Tränen rührt. Genauso sieht sie aus – die finnische Melancholie mit einem Schuss Indi-Folk und Americana, die wie's scheint wirklich in Finnland ihre Wiege hat!
Bin ich begeistert?
Ich bin's!
Kein Wunder, bei so viel Harmonie und Atmosphäre, gepaart mit textlichem Tiefgang und spieltechnischer Perfektion.
FAZIT: Musik für alle Sonnenuntergänge, die in sich die Vorfreude auf den bald folgenden Sonnenaufgang tragen und alles Dazwischen vergessen lässt!
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.10.2012
Tomi Moisio
Lauri Myllmäki, Minttu Tervaharju, Tanja Peltonummi
Lauri Myllmäki, Ari Savolainen
Minttu Tervaharju
Antti Leikkanen
Tanja Peltonummi (Trompete & Glockenspiel), Aino Palosaari (Cello), Ville Houttu (Pedal Steel), Teemu Vänskä (Rhodes)
Beste! Unterhaltung
42:23
05.10.2012