Dieses zweite Album der Tulpen-Progger wurde 2000 von Cyclops veröffentlicht und erfährt nun einen Re-Release mit zweiter CD, die über 50 Minuten Bonusmaterial enthält, womit das Label Freia eine Reihe von Neuauflagen einleitet, die jeweils in hübschen Digipacks mit Zusatzstoff an den Fan gebracht werden wollen.
ODYSSICE repräsentieren den nahezu typisch niederländischen Neo Prog wie nur noch wenige Bands: in erstklassiger Handarbeit umgesetzte Persönlichkeit, die sich nicht von ihren Einflüssen freimachen kann und will, sich selbst aber niemals völlig hinter fremden Federn unkenntlich macht. Die instrumentale Anlage beschwört Vergleiche zur mittleren Phase von CAMEL herauf (ungefähr ab der Zeit, da die Briten die Schneegans rupften), auch weil Peters und van der Wiel ein gutes Gespür für griffige Melodien haben. Nach der zudringlichen Eröffnung mit „Scream“ setzt aber während „Lopakas“ zunächst die Rhythmusgruppe (Slapping, Synkopen) Akzente und den Anspieltipp der Scheibe recht früh auf die Songliste. „Senkan“ stellt eine lyrische Ballade mit fernöstlichen Anklängen dar, der sich „Children Of The Cloud“ (Harfe!) auf ähnliche Weise anschließt. Hörte man hier ein echtes Cello, wäre Gänsehaut garantiert. Später bei „In Your Eyes“ schafft die Combo es nicht mehr, dieses Prinzip auf vergleichbar spannende Weise auszugestalten.
„Olympus“ verortet den Pantheon der Macher am plumpsten in Albion statt Griechenland („Flower Of Scotland“ greift eine traditionelle Weise auf), und wo das Titelstück tatsächlich nur eine Keyboard-Impression darstellt, ziehen ODYSSICE mit dem schreitenden „Crusader“ am Uniform-Zipfel von Cineasten wie Alan Parsons oder THE MOODY BLUES in ihrer ambitionierten Phase – das Highlight des Albums und ein Ohrwurm zugleich. Die Weltmusik kehrt nach dem zu langen Anhang „Legend“ mit „Anuradhapura“ zurück, entführt allerdings ungleich verschmitzter als erwartet unter die Wüstensonne. Der Flöten-Jam zum Ende hin setzt einen beeindruckenden Akzent. Mit dem Schlusssatz „A Prophet's Dream“ rekapitulieren die Musiker, was sie auszeichnet. Gewitzte Beats (Morsecode-Beginn), getragene Synth-Passagen ohne Füll-Charakter und stets die zwingende Melodie, wo das Gros der Szene vor sich hin wurstelt, ohne dass man sich hinterher daran erinnern könnte.
Die zweite CD bietet eine sinnvoll gekürzte Version von „Olympus“, ein neu abgemischtes „Eager Attempt“ sowie eine klanglich etwas abfallenden Improvisation, aus der sich mehrere Motive späterer Endfassungen schälen. Die Live-Darbietung von Scream ist beinahe stärker als das Studio-Stück, „Senkan“ als Bühnen-Version eher redundant, genauso wie das Studio-Demo des sachten „Why“ und von „Anuradhapura“. Zumindest die Exklusivität dieser Stücke (das letzte, „Genuine“, wurde bei einem Soundcheck mitgeschnitten) erfreut, aber als nicht eingefleischter Fan genügen prinzipiell die perfekt austarierten Stücke des Albums an sich.
FAZIT: Wer die 2010er Scheibe „Silence“ sein eigen nennt, diesen Viertel-Klassiker aber noch nicht kennt, darf jetzt zuschlagen, denn „Impression“ ist einen Tick stärker als das aktuelle Material von ODYSSICE, wenn es um vollendet rund arrangierten Progressive Rock im gängigen Klangbild geht.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.12.2012
Pascal van der Pol
Bastiaan Peters
Jeroen van der Wiel
Menno Boomsma
Freia Music
130:34
26.10.2012