Offensichtlich leidet OLIVER USCHMANN unter Schreibdurchfall. Wie sonst lässt es sich erklären, dass der in Wesel geborene Schriftsteller jährlich mindestens ein Buch auf den Markt wirft – und dieses Jahr wahrscheinlich gleich vier? Den meisten Lesern dürfte Uschmann durch seine „Hartmut und ich“-Reihe bekannt sein, dessen fünfter Band „Feindesland“ im Frühjahr 2010 erschien. Außerdem veröffentlichte er den satirischen Männer-Ratgeber „Fehlermeldung“, zwei recht heftige Jugendromane und zuletzt gar ein Kinderbuch. Für dieses Jahr ist dann noch ein zweites Kinderbuch, ein drittes Jugendbuch und ein sechster „Hartmut und ich“-Roman geplant. Erstaunlich bei alledem ist, dass der Autor sich in jedem Genre und in jeder Altersklasse hinsichtlich seiner Ausdrucksweise anzupassen weiß.
Und weil dem unter anderem auch für diverse Magazine (Visions, Galore) aktiven Herrn offensichtlich noch immer langweilig gewesen war, nahm er sich obendrein des Phänomens namens Musikfestival an. Qualitative Einbußen muss man trotz des enormen Outputs auch bei „Überleben auf Festivals“ nicht befürchten, ganz im Gegenteil, es gibt in diesem Buch so einige Passagen, in denen der rührige Schriftsteller zu absoluter Höchstform aufläuft.
Auf herrlich überspitzte, übertriebene und karikierende Art, aber stets einige Krümelchen Wahrheit in sich bergend, kategorisiert Uschmann zum Beispiel die Festivalbesucher in Gattungen: Da gibt es etwa den 90er-Jahre-Kinnbart, welcher bei seinen selbst aufgenommenen Tapes die ebenfalls selbst gemalten Punkrock-Bandlogos liebevoll nachbessert, den Choleriker, der ständig alles diskutieren muss, zu allem eine Meinung hat und den es bei seiner Lieblingsband ankotzt, wenn sie sich ändert (Was soll das? Verrat!), aber auch, wenn sie sich nicht ändert (was soll <i>das</i>? Kommerz!), die Krankenschwester, die Turteltäubchen, den Twitterer, den Bollo, und jeder Besuchergattung werden augenzwinkernd bestimmte Songs zugeordnet, obendrein ein Motto, und – ganz wichtig – Tipps für den Leser, wie er sich am besten verhalten sollte, wenn er den jeweiligen Gestalten begegnet. Doch auch die Musiker bekommen ihr Fett weg und werden richtig schön respektlos in Schubladen wie Avantgardisten, Agitatoren, Kappen, Kippen, Schuhgucker, Metallarbeiter oder Elfen beziehungsweise Röhren gepackt, wobei die Skizzierungen manchmal gar nicht so abwegig sind, wie man glauben möchte. Und selbstverständlich schreibt Uschmann auch jeder Musikerspezies deren musikalische Lieblinge auf den Leib, dieses Mal in Albumform.
Was man alles mit Dixis anstellen kann, was Völkerwanderungen sind, was es mit dem Rufen nach Helga auf sich hat und welches Luftinstrument man wie, wo und warum spielt, wird im dritten Teil „Die Verhaltensrituale“ urkomisch analysiert und seziert, und ebenso wird man in Themen wie Verkleidungen, melancholisches Wanken, den Kaufrausch, die verschiedenen Festival-Tanzkriege, die Bierrutsche oder das Bändchentragen eingeweiht, belegt durch pseudowissenschaftliche Beiträge. Und was ist – neben der Musik – essentiell für den Festivalbesucher? Richtig, „Die Ernährung“. Was der Autor geraucht hat, als er die Kapitelchen „Die Cabanossi“, „Die Fertignudeln“, „Die Choco Pops“, „Die Salami“ und „Die Cabanossi“ geschrieben hat, entzieht sich meiner Kenntnis, aber das Zeug muss ganz schön reingehauen haben, denn solch einen grandiosen Schwachsinn liest man auch nicht alle Tage. Doch natürlich werden auch ganz „normale“ Lebensmittel wie der Toast, das Bier, der Imbissstand und das Wasser behandelt. Wer allerdings erwartet, dass das auf seriöse Weise geschieht, der irrt gewaltig. Jedenfalls sollte man den Mund speis- und trankfrei halten, wenn man sich dieser Lektüre widmet. Das kreative Pulver ist aber noch lange nicht verschossen, denn auch die verschiedenen Behausungsarten (Wohnei, Sofas, Wohnmobil, 1er- und 2er-Zelt, um nur einige davon zu nennen) werden ordentlich durch den Kakao gezogen, wie auch die den Abschluss bildenden Security-Kräfte, die Uschmann in lediglich zwei Sorten unterteilt.
Welch ein Spaß.
FAZIT: Jeder, der auch nur ein Mal auf einem Festival war oder dies plant, sollte dieses unterhaltsame, broschierte Büchlein auf seinen „to read“-Stapel legen – auch im Wissen, sich selbst wiederzuerkennen oder sich derbe auf die Schippe genommen zu fühlen. Auf den 364 Seiten wird nicht auf Bildmaterial verzichtet, doch positiverweise bleibt die ganze Angelegenheit absolut textlastig, da es sich hier um gerade mal an die dreißig Fotos handelt, die nur wenig Platz einnehmen. Statt eines künstlich aufgeblasenen Bildbandes für Große bekommt der Leser demnach einigen Lesespaß geboten, bei dem man nicht selten auflachen muss und amüsiert vor sich hin ruft: „Ey... genau so... ge-nau so!“
ISBN: 978-3-453-23808-1
Ab dem 27. März wird „Überleben auf Festivals“ übrigens auch als Hörbuchversion erscheinen. Gelesen wird diese von Simon Gosejohann, den der aufmerksame ProSieben-Zuschauer von Trash-Formaten wie „Elton vs. Simon“ und „Comedy Street“ kennen werden. Passt.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.03.2012
Oliver Uschmann (Laptop, Netbook, PC, Schreibmaschine, weiß der Teufel?)
Heyne Hardcore
364 Seiten
19.03.2012