Zurück

Reviews

Pavla Mikulasova: Mirror

Stil: Singer / Songwriter

Cover: Pavla Mikulasova: Mirror

Realität? Wen interessiert denn schon die Realität? Das fragten schon einflussreiche Filmregisseure, und auch PAVLA MIKULASOVA scheint an der Wirklichkeit weniger interessiert zu sein als an deren Reflektion. Mit ihrem Debüt blickt sie in einen Spiegel und ist dabei offenkundig nicht an einer 1:1-Abbildung der gespiegelten Gegenstände und Personen interessiert, sondern vielmehr an der Spiegelung selbst: An all den Funken und dem Lichtregen, der sich durch die Brechung auf der Oberfläche ergibt und der nur in der Illusion existiert.

MIKULASOVA verwendet Musik als Instrument der Märchenerzählung. Ihr erstes großes Lebenszeichen nutzt die tschechische Künstlerin, um sich selbst im Rahmen einer verklärten Erzählung als „small girl in a big world“ zu inszenieren. Sie erzählt die Geschichte eines Mädchens, das sich in einer magischen, gleichwohl gefährlichen Welt wiederfindet. Dies geschieht in einer ambitionierten Umsetzung, die auf jeder Theaterbühne einen großen Eindruck machen würde. Spätestens, wenn „Grandmother“ mit Theremin, Paukenschlag und trippelnden Orchesterbögen einen eskapistischen Flug in die innersten Gedanken der zentralen Figur andeutet, sind selbst die inneren Zwiespälte tragischer Figuren der Klassik nicht mehr fern. Ihren Newcomer-Status nutzt sie mit einer großen Gabe für Selbsteinschätzung, indem sie vor der Welt, die sich ihr gerade öffnet, fast spielerisch fragt: Wer bin ich, und was ist es, das ich gerade erlebe?

Das Ergebnis ist ein offenherziges, psychologisch selbstanalytisches Klangbild. MIKULASOVA scheint wortwörtlich ihre Seele auszubreiten. Alleine der deutliche, aber nie unangenehme Akzent in ihrer Gesangsstimme gibt unheimlich viel über die Sängerin preis, so dass sich alsbald unvermeidliche Vergleiche mit einer LOREENA MCKENNITT ergeben (vgl. „Desaparecidos“), die durch ihre Konzerte gerne aus ihrem Leben erzählt. Aber auch die Intensität einer TORI AMOS oder die Selbstoffenbarung und Verletzlichkeit einer Natasha Khan (BAT FOR LASHES) sind nicht fern.Vergleiche mit diesen Damen, die selbst in der (scheuklappenfreien) Metal-Welt einen sehr hohen Grad an Respekt genießen, zementieren sich auch dadurch, dass MIKULASOVA sämtliche Songs geschrieben und eigenhändig instrumentiert hat.

Wenngleich der Opener „Anonymous Day“ wie ein Pop-Ohrwurm eröffnet, der melodisch und bei der Struktur der Pianoanschläge Färbungen von PARADISE LOSTs „One Second“ annimmt, entfernt sich die Singer/Songwriterin schon mit dem zweiten Stück von der zugänglichen Rein-Raus-Methodik und nähert sich, stets geführt durch permanente Begleitung des Pianos, dem Aufbau klassischer Musik, vermischt mit Folklore. Die Produktion suggeriert einen hellen Glanz überall, die omnipräsente Traurigkeit lässt sich aus den Kompositionen aber nicht vertreiben, und so vereint sich Pathos mit Optimismus.

Die wirklich spannenden Dinge ereignen sich aber eher im Hintergrund. MIKULASOVA weiß ihn mit allerhand spannenden Elementen zu unterfüttern, die langsam wie funkelnder Schnee zu Boden gleiten, während sie selbst im Vordergrund ihr Duett mit dem Piano ausspielt. Wenn sie glaubt, der Moment erfordere etwas Überlebensgroßes, lässt sie ein Orchester auferstehen; möchte sie den Moment der Stille wahren, zieht sich allenfalls eine Ahnung von Ambience durch den Hintergrund, manchmal getragen von einzelnen Beckenschlägen, die arhythmisch, fast organisch ihren eigenen Takt verfolgen, oder verhaltenen Gitarren, die aus weitreichender Entfernung ertönen. Manchmal gelingt es ihr nicht ganz, die Gewichtung richtig zu treffen, so dass die orchestrale Melancholie zum theatralischen Pathos zu mutieren droht; was in einem mit Blitz und Donner unterfütterten Tim-Burton-Film funktioniert, muss auf einem Album wie diesem nicht immer zum Vorteil avancieren. Meist jedoch gelingt ihr der Spagat, so dass „Mirror“ zur Entdeckungsreise wird, wenn man sorgfältig zuhört, denn kaum erhebt sich mal ein bis dahin nur unterschwellig wahrnehmbares Element aus dem Hintergrund, verwandelt sich der Charakter des gesamten Albums (vgl. Refrain von „The Little Angels“).

Einen männlichen Gastsänger hätte es da gar nicht unbedingt gebraucht. Tatsächlich reißt Roberto Conforti (PULCHER FEMINA) auf „Overdose“ ein wenig aus der Intimität, die MIKULASOVA bis dahin so gekonnt zu erzeugen vermochte. Natassja Kinski hingegen untermalt den Gesang MIKULASOVAs als deren Echo wirkungsvoll.

FAZIT: Respektabler Einstand. PAVLA MIKULASOVA wirft auf „Mirror“ bereits alles in die Waage und legt ein sehr persönlich wirkendes Album vor, dessen dramatisches Gebaren man ihm zwar vorwerfen könnte, doch im Grunde legt die Tschechin genug Fingerspitzengefühl vor, um das Spiel mit dem Theater, das mitunter einem Spiel mit dem Feuer gleicht, nicht eskalieren zu lassen. Dichte Hintergründe voller Ideenreichtum lassen Genrefremde und Freunde des Experimentellen außerdem durch die Fassade der klassischen Pianoballade mit weiblichem Gesang blicken.

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.12.2012

Tracklist

  1. Anonymous Day
  2. Black Out
  3. Desaparecidos
  4. Grandmother
  5. The Little Angels
  6. Lullaby
  7. Overdose
  8. Sweet Dreams
  9. Sweet Girl
  10. The Horses
  11. The Magic Mirror
  12. Timeless

Besetzung

  • Gesang

    Pavla Mikulasova, Roberto Conforti (Gast auf "Overdose"), Natassja Kinski (Gast auf "The Magic Mirror")

  • Sonstiges

    Pavla Mikulasova

Sonstiges

  • Label

    Decadance Records

  • Spieldauer

    49:57

  • Erscheinungsdatum

    13.12.2012

© Musikreviews.de