SANKT OTTEN, die auf ihrem letzten Album noch auf „Gottes Synthesizer“ wahrhaft göttliche elektronische Klänge erzeugten, begeben sich dieses Mal mit ihrem „Sequencer Liebe“ auf eine ähnliche Reise in Richtung himmlische Klangerzeugung, die dem Synthesizer huldigt und auf regelrecht hypnotische Art mit Gitarren, Bass und Schlagzeug angereichert wird. Und bereits nach dem ersten Hördurchgang war mir klar: Solche elektronische Musik braucht das (Deutsch-)Land!
Während ein KLAUS SCHULZE sich und seinen Ruf immer stärker mit der Resteverwertung von so etwa allem, was noch auf alten Bändern oder seiner Festplatte ausgelagert wurde, beschäftigt und immer tiefer in totaler Bedeutungslosigkeit versinkt, überholen ihn „seine Kinder“ mit Leichtigkeit auf „Sequencer Liebe“! Wer heutzutage den Glauben daran verloren hat, dass elektronische Musik noch so „modern“ wie zu Krautrockzeiten klingen kann und deshalb nicht nur vor sich hinwabern muss, dem kann Entwarnung gegeben werden. SANKT OTTEN, das ist nicht nur ein Band-Name, das ist eine NEU!e musikalische Leidenschaft, die uns daran erinnert, dass wir viel zu selten unsere alten LPs aus dem Schrank holen, die so seltsame Bands wie HARMONICA, ASH RA TEMPEL, CLUSTER, LA DÜSSELDORF oder RICHARD WAHNFRIED in sich vereinen.
Hier erlebt der Hörer genau die Art von Musik, die vor über 40 Jahren noch ein Lebensgefühl war, das in den Wirren unserer schnelllebigen Musikretorten-Neuzeit völlig zu Unrecht an Bedeutung eingebüßt hat, was wohl auch daran liegt, dass unsere ehemaligen Helden, wie beispielsweise EDGAR FROESE von TANGERINE DREAM, heutzutage unbedingt mit ihren Kindern gemeinsam musizieren müssen und so mitunter in einen musikalischen Generationskonflikt geraten. Wohl auch, weil Techno und Ambient diese Musik plötzlich für sich beanspruchen und mit programmatischer Einfalt zerhackstückeln. Alles das bleibt uns auf „Sequencer Liebe“ erspart. Dafür gibt es geheimnisvoll schwebenden Klanglandschaften, die erstmals auf dem fast kompletten, mit knapp 40 Minuten viel zu kurz geratenen, Album eine romantische Grundstimmung in sich tragen. Das Motiv der Liebe hört man tatsächlich, obwohl auch heute noch viele Zeitgenossen behaupten, dass Synthesizer „kalte, maschinelle“ Musik erzeugen.
So ein Quatsch!
„Sequencer Liebe“ sagt dieser Einfalt den Krieg an, auch wenn die „beiden deutschen Kriegstreiber“ STEPHAN OTTEN & OLIVER KLEMM auf fast romantische Art mit einer elektronischen (Krautrock-)Renaissance ins Feld ziehen. Musik, die keine Gegner zu fürchten braucht, denn der einzige Gegner ruht in ihnen selbst, weil dieses Album schon ganz nahe an den Grenzen der Perfektion angelangt ist. Genauso wie die wiederum so geheimnisvoll faszinierende Gestaltung des Covers von SALUSTIANO GARZIA CRUZ.
FAZIT: STEPHAN OTTEN & OLIVER KLEMM auf dem Weg, nicht nur ins KRAFTWERK, sondern in die elektronische Musik-Heiligkeit. Ganz vollkommen sind die Jungs leider noch nicht, denn knapp 40 Minuten erscheinen mir doch etwas zu wenig auf einem Silberling, den man konsequenter Weise vielleicht besser hätte auf einem schwarzen Rohling pressen sollen – um dem schwarzen Gesamteindruck die wahre Vollendung zu verleihen.
Aber das ist wohl nur „Der heilige Schmerz“ eines nach Vollendung suchenden Kritikers!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.05.2012
Oliver Klemm
Oliver Klemm
Stephan Otten, Oliver Klemm
Stephan Otten
Denovali Records
39:43
31.05.2012