„And It Was So“. Wie die Vorbereitung auf eine Geschichtsstunde klingt der Name. Das Dunkel, auf „Some Ambulance“ und „Music In Four Movements“ nur der Fixpunkt im Zentrum, hat nun flächendeckend den ganzen Raum eingenommen, und der Eindruck kommt auf, dies sei nun die Stille vor dem großen Leuchten. Dies sei der Moment, in dem sich Musik und Licht darüber einig sind, kurz inne zu halten, um beim Publikum die Spannung zu schüren.
Und tatsächlich – „And It Was So“ lässt sich hören wie die langsame Bootsfahrt durch eine Tropfsteinhöhle. Man spürt anhand der Silhouetten um sich herum, die ebenso gebannt auf das Schillerspiel schauen wie man selbst, dass es sich um eine Show handeln muss, die für eine Touristengruppe gemacht ist, doch diese Erkenntnis verliert angesichts der alle Sinne einnehmenden Attraktion an Relevanz. Mal leuchtet zur Linken des Boots eine Szenerie auf, dann wieder zur Rechten. Alles besteht aus eher simplen Formationen, die aber durch die flackernde Beleuchtung bei gleichzeitiger Fortbewegung des Boots zum Leben erweckt werden. Gute Show, Mr. Chatwin.
Der Effekt der langsamen Fortbewegung durch unterirdische Wasserszenarien wird natürlich einerseits über die Tracklist erzeugt – das „Let There Be Light“ legt den Blick frei auf das erste Arrangement, „In The Midst Of The Waters“ und „Great Sea Monsters“ suggerieren Seeflächen von „Nessie“-Umfang und Schatten von langen Hälsen undefinierter Kreaturen, die aus dem Wasser lugen, „The Two Great Lights“ einen ersten Höhepunkt (Nordlichter vielleicht?) und der Nebel am Ende der Rundfahrt bereitet als Symbol des Vergessens die Rückkehr in unsere Dimension vor.
Musikalisch setzt Chatwin aka TALVIHORROS die Bilder mit viel Schall um. Man befindet sich in einer Dronelandschaft, die offenkundig nicht überirdisch angelegt wurde. Chatwin entwirft durch Verfremdung Soundcollagen, deren Ursprung unidentifizierbar ist, weil sie unter der Erde ein ganz neues Wesen entwickeln. Darüber wiederum legt er jedoch Instrumente, die man auf Anhieb identifiziert hat. Ausgewählte Gitarrenhiebe präsentiert er auf diese Art, aber auch gerade seine Gäste an Violine, Viola, Cello und Percussion werden unvermittelt in Szene gesetzt – stimmungsmachend zwar, aber auch mechanisch und der Magie bewusst zuwiderlaufend. Hieraus schürt sich der Eindruck, man habe es nicht etwa mit einer tatsächlichen Reise durch das Jenseits zu tun, sondern mit der Improvisation einer solchen. Man erkennt mehr als nur das Theaterstück, den gesamten Theatersaal nämlich.
So gesehen handelt es sich um selbstreferenzielle Kunst, die das Intentionale, von Menschenhand Geschaffene bewusst in den Mittelpunkt rückt. Dann wiederum verwundert allerdings, dass „And It Was So“ die elliptische Struktur einer Themenattraktion besitzt. Man steigt ein, fügt sich der Illusion, in einen anderen Ort gebracht zu werden, steigt wieder aus und lebt sein Leben weiter. Genießt man das Album mit geschlossenen Augen unter dem Kopfhörer und widmet sich danach wieder dem tummelnden Leben auf der Straße, bleibt die Atmosphäre als unwirkliche Erinnerung zurück.
FAZIT: Strukturell ist „And It Was So“ geprägt von einigen wenigen Schwächen, die eher fühl- als beschreibbar sind. Davon abgesehen gelingt es TALVIHORROS, im Moment seines Abspiels mit enormer Sogkraft die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und ein Panoptikum von Sinneseindrücken zu erzeugen. Es handelt sich jedoch um Eindrücke, die kaum nachwirken; ist man einmal ins Sonnenlicht zurückgekehrt, hat man auf Anhieb vergessen, wie viele Meilen unter der Erde man gerade eben noch war.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.12.2012
Ben Chatwin
Jordan Chatwin
Ben Chatwin (Diverse), Christoph Berg (Violine), Anais Lalange (Viola), Oliver Barret (Cello)
Denovali Records
47:24
23.11.2012