Mit einem Paukenschlag melden sich die legendären Bay-Area-Thrasher TESTAMENT zurück und das nicht nur, weil ihr zehntes Studioalbum richtig gut geworden ist. Mit dem Einstieg auf Platz 4 in den deutschen Albumcharts gelang es der Band sogar, KREATORs "Phantom Antichrist" zu toppen, das es "nur" auf Platz 5 schaffte. Ob man daraus ableiten kann, welches Album das bessere ist, sei mal dahingestellt, zumal man die beiden stilistisch nur begrenzt vergleichen kann. Recht klar ist aber, dass "Dark Roots Of Earth" und "Phantom Antichrist" letztlich wohl die beiden besten Thrash-Alben des Jahres 2012 sein werden.
Vergleichen kann man beide Alben zumindest im Hinblick auf den hohen Abwechslungsreichtum. Der ist auch bei der neuen TESTAMENT gegeben und das nicht nur im Hinblick auf das Songwriting, sondern auch auf Chuck Billys Gesang. Vom aggressiven Gebrüll über melodischeren Thrash-Gesang bis hin zur klaren Normalstimme, die im balladesken "Cold Embrace" sogar fast ein bisschen nach Ozzy Osbourne klingt, bietet Chuck fast alles auf, was er drauf hat, lediglich Todesblei-Gegrunze bleibt außen vor, es hätte stilistisch auch in keinen der Songs gepasst. Spannend auch, dass er so manch ungewöhnliche Gesangslinie präsentiert, in den ruhigen Strophen des Titeltracks braucht man nicht viel Fantasie, um heraus zu hören, dass ein paar der Gesangslinien sich auch in einem ALICE IN CHAINS-Song (!) gut machen würden. Mitunter spektakulär fällt auch Alex Skolnicks Gitarrenspiel aus, der in fast jedem Song ein, zwei spielerische Kabinettstückchen auffährt. Dass er kein reiner Thrash-Shredder ist, tut dem Material verdammt gut. Lobend erwähnt sei zudem die Produktion von Andy Sneap, die die Songs perfekt in Szene setzt. "Dark Roots Of Earth" klingt zeitgemäß, aber so erdig, wie eine Thrash-Platte klingen muss. Vor allem, wenn sie so heißt, wie sie heißt.
Für jene, denen KREATORs Ausflüge in melodischere Gefilde nicht mehr thrashig genug sind, wird "Dark Roots Of Earth" klar das Thrash-Album des Jahres sein. Das ist vor allem angesichts der superben ersten vier Tracks nachvollziehbar, denn auf denen zeigen TESTAMENT ihre ganze songschreiberische Klasse. Der Opener "Rise Up" variiert Mid- und Uptempo und mündet in einem Bollo-Refrain zum Mitgrölen, "True American Hate" ist ähnlich ausgelegt, erinnert in den Strophen an die Aggression von EXODUS, bevor es melodischer in den Refrain übergeht. Ein perfekter Song ist "Native Blood", die treibende Nummer wird von einem grandiosen Ohrwurm-Refrain im Blastspeed-Tempo gekrönt und ist weitaus besser, als ausnahmslos jeder Song auf METALLICAs "Death Magnetic" - so klingen neue Songs einer Band, die noch nicht satt ist. Der Titelsong ist der ruhigste der Eröffnungsquartetts, punktet aber ebenfalls mit einem schmissigen Refrain.
Warum letztlich "nur" zwölf Punkte unter diesem Review stehen werden, liegt in den Songs fünf bis neun begründet. Abgesehen von der starken, aber etwas zu lang geratenen Thrash-Ballade (!) "Cold Embrace" sind diese Songs nur noch ziemlich gut, aber nicht mehr überragend. "A Day In The Death" ist der sperrigste Song des ganzen Album, während "Man Kills Mankind" mehr in Richtung Power Metal tendiert und an das 1992er Album "The Ritual" erinnert. Das groovige, mit doomigem 70er-Jahre-Riff und fast schon proggigem Zwischenpart versehene "Throne Of Thorns" ist einer der auffälligsten Songs auf dem Album und das, was man typischerweise einen "Grower" nennt. Das am Ende platzierte "Last Stand For Independence" ist dann wieder flotter, nachdem es vorher tempomäßig nicht mehr so richtig abging, nervt aber mit ein bisschen viel Griffbrettgewichse von Herrn Skolnick.
FAZIT: "Dark Roots Of Earth" ist mit Sicherheit eine der stärksten TESTAMENT-Platten und hat teilweise ein schwindelerregend hohes Niveau. Die Jungs beweisen, dass sie es noch mal wissen wollen und werden zurecht obere Plätze in allen Jahrespolls belegen.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.08.2012
Greg Christian
Chuck Billy
Alex Skolnick, Eric Peterson
Gene Hoglan
Nuclear Blast / Warner
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27.07.2012