Ein neues Album von THE 69 EYES ist wie das Wiedertreffen eines alten Bekannten, der zwar nie zu den engsten Freunden gehörte, aber mit dem man sich doch immer gut verstanden hat. Kürzlich gab es die Begegnung in der Wuppertaler Saturn-Filiale, wo "X" über die Lautsprecher lief und man sich spontan freute, jenem "Bekannten" über den Weg gelaufen zu sein, denn Songs wie "Brandon Lee", "Lost Boys" und "Dance d'Amour" gehören halt immer noch zum Besten, was der moderne Gothic Rock zu bieten hat.
"X" ist natürlich das zehnte Album der Vampire aus Helsinki und orientiert sich wieder stärker an den genannten Hitsingles. Um dahin zu kommen, haben die Finnen erneut mit dem schwedischen Produzentenduo On The Verge, bestehend aus Pat Phoenix und Joakim Övrenius zusammen gearbeitet und das Album komplett in Stockholm aufgenommen. Herausgekommen ist ein übelst kitschiges, höchst eingängiges und durch und durch poppiges Album, das kein Klischee aus lässt, weder musikalisch, noch textlich. Grund genug also, das alles ganz furchtbar und schrecklich peinlich zu finden - oder jede Menge Spaß daran zu haben, weil THE 69 EYES diesen Stil besser beherrschen, als jede andere Band des Genres - HIM in ihren besten Momenten mal ausgenommen.
Über die Texte muss man sich nicht weiter auslassen, es gibt Gothic-Standardware zu hören, die sich um Liebe und vor allem den dazugehörigen Kummer sowie um Frauen in schwarzer Kleidung dreht. Dabei rezitiert man eben auch mal Titel von Kinofilmen wie in "Tonight" ("tonight, the world is not enough, tonight...") und direkt im Songtitel "I Know What You Did Last Summer" oder erinnert an AC/DC in "Black", wo es "I want you back in black" heißt. Anspruchsvoll geht natürlich anders, aber will man von THE 69 EYES etwas anderes hören? Nö. Man erfreut sich stattdessen an der dunklen Stimme von Jyrki 69, die er recht variabel einsetzt und dabei mit unwiderstehlichen Gesangsmelodien einen fiesen Ohrwurm nach dem nächsten ins Ohr des empfänglichen Hörers setzt. Die schlimmsten, die wirklich sofort zünden, sind "I Love The Darkness In You" und "I Know What You Did Last Summer" - lupenreine Genrehits.
Aber schon der Refrain des flotten, sleazigeren Openers "Love Runs Away" zieht sofort, "Tonight" ist dann etwas gemäßigter, von süßer Melancholie geprägt und im Kehrvers an "Brandon Lee" angelehnt. "Black" ist nach dem üblichen Schema aufgebaut, in der Strophe ruhiger und vom Gesang dominiert, im Refrain treibender und für Fans von THE SISTERS OF MERCY nicht uninteressant. Nicht balladesk, aber durch Akustikgitarren und Klavier insgesamt ruhiger gehalten kommt "If You Love Me The Morning After" daher, danach darf man im traurigen "Red" mitleiden - die Nummer hätte SENTENCED auch gut gestanden. "Borderline" hat ein gewisses Countryflair - dass hier JOHNNY CASH Pate gestanden hat, ist wohl klar. "I'm Ready" verkündet man kurz vor Schluss auf wiederum sleazigerige Manier, bevor die nah am Wasser gebauten zu "When Love Comes To An End" nochmal die Taschentücher zücken können. Hier faselt Jyrki kurz was von "this is the final chapter" - man darf aber wohl davon ausgehen, dass sich das auf "X" bezieht und nicht auf THE 69 EYES an sich.
FAZIT: Lacht ruhig über die elf Punkte - und dann sagt an, wer diese Art von Musik besser macht. Natürlich ist das nichts, was man sich ständig geben müsste, aber wenn schon, dann so. "X" kommt den Klassikern "Blessed Be" und "Paris Kills" jedenfalls verdammt nah.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 31.10.2012
Archzie
Jyrki 69
Bazie, Timo-Timo
Jussi 69
Nuclear Blast / Warner
41:14
28.09.2012