Im Rahmen einer Kollaboration des Labels Freia mit den Magazinen IO Pages und ProgWereld sowie der Agentur Progmotion 32 entstand diese Umschau in der niederländischen Prog-Szene. Jede Band erhielt rund zehn Minuten Spielzeit, die Veröffentlichung erfolgt als schweres Doppel-Vinyl mit CD. In medias res …
Um GALLICO zu beschreiben, kann man um mehrere Ecken denken. Der Name deutet auf den Schriftsteller Paul Gallico hin, dessen „Die Schneegans“ bekanntermaßen von CAMEL vertont wurde, und die Utrechter gemahnen in der Tat streng, aber weniger verbissen als leidenschaftlich an die britischen Wegbereiter: Klangmalerei mit Gitarren und Synthesizern zu gleichen Teilen ist ihr Metier, und da die Melodien wie Arrangements (Flöten, Cembalo, fließende Breaks) sitzen, darf man von einem gelungenen Einstieg sprechen.
Die selbsternannten „sphärischen“ Rocker PROFUNA OCEAN schicken mit Raoul Potters den ersten Sänger in den Ring, der dem überwiegend leisen instrumentalen Hintergrund (schwebende Keyboardflächen, clean gezupfte Gitarren) entsprechend Rechnung trägt. SUBSIGNAL lägen nicht fern, so die Gruppe nicht auf Postrock-Klimaxe hinarbeiten würde und ab der Hälfte einen rigorosen Bruch verzeichnet: finstere Riffs dominieren, tonale Statik wird zum stimmungsvollen Programm – interessant, aber nicht ohne Längen, zumal nicht sonderlich dynamisch inszeniert.
„Destructible“ von ARMED CLOUD ragt aufgrund der exaltierten Stimme von Daan Dekker heraus, der für den Mehrwert dieses an sich schlicht geradeaus achtelnden Liedes sorgt. Zwischendurch – mehr noch im folgenden „Got Her By …“ – erreicht die Combo aus Nimwegen beachtliche Härtegrade, ohne aber je metallisch zu werden. Die eleganten Solos deuten auf eine Zuneigung zum Jazz hin, und auch weil beide Tracks jeweils nur knapp fünf Minuten dauert, gehören sie zu den eingängigen Highlights der Zusammenstellung.
SYLVIUM bestätigen hinterher den durchwachsenen Eindruck, den schon ihre EP auf diesen Seiten hinterließ: schlechter Sound (Plitsch-Platsch-Becken), Setzkasten-Electro-Gluckern und als Ambient entschuldete Einfallsarmut. Werdet 'ne Band und musiziert organisch!
Freia Music trumpfen mit je einem Songdoppel zweier Bands auf: TRIP TRIGGERs vom Keyboard geleiteter Prog – die Gitarre von Kevin Hoogervorst rifft inflexibel dahinter – gefällt vor allem wegen Joost Kralts zerbrechlicher Stimme und weil die Rhythmusgruppe kreativ aufspielt. Das kürzere „News Feed“ besitzt einen triumphalen Refrain, „Wave Away“ ist jedoch insgesamt zugänglicher (Neunziger-RUSH-Atmosphäre kommt auf), wobei man in Sachen Produktion noch ein wenig zulegen könnte. Die Mitbewerber THIRTEEN verärgern zunächst mit gräulich synthetischen Drums, doch blendet man diese aus, bleibt zumindest hörbarer Artrock mit weiblichem Gesang. Chanteuse Audrey hat gute Ideen, aber eine naive und nicht gänzlich wetterfeste Stimme, wohingegen der Unterbau abgesehen vom Klopfgeist insbesondere zum Ende von „Before I Die“ hin packt. „Just Leave“, eine schnöde Klavierballade mit Beziehungstext, lässt den Hörer indes gleichgültig zurück – außer er kratzt sich am Kopf, weil das Projekt aus dem ODYSSICE-Umfeld stammt.
„Reality Check“ von INCIDENSE kündet von gut zehnjähriger Banderfahrung. Die Musiker stammen ebenfalls aus dem Raum Utrecht und verstehen sich auf ungekünstelten, aber zuweilen quirlig verspielten Prog der eher zeitgenössischen Couleur. Sänger Lucas, der ein angenehm raues Organ hat, kabbelt sich mit den Fretless-Tönen von Bassist Rich, während Gitarre und Keyboards zurücktreten, doch wenn die Melodieinstrumente zum Tragen kommen, wird gehobelt, dass gleißende Späne fallen. Nach der Durststrecke der vorangegangenen Lieder verzeichnet der Sampler hiermit ein weiteres Glanzlicht.
Bleibt noch das SUMMER BREEZE PROJECT, dessen Beitrag nicht vom bislang einzigen Album „Unusual Horizons“ stammt. Dessen karg anmutendes Cover weist aber den Weg zur Einordnung der 2008 gegründeten Band: Über weite Strecken reicht ihr Wirkungskreis nicht über jenen von mittelstarken Schlaftabletten hinaus. Spielerischen Esprit legen die Musiker nicht an den Tag, wenn das Stück auch eine brodelnde Atmosphäre von dräuendem Unheil erweckt. Der Sound fällt wiederum klinisch aus, und man muss einen langen Atem mitbringen, um sich mit Gert Bruins' Stimme anzufreunden.
FAZIT: Sollte „Dutch Exposure“ als Direktive für zukünftige Impulse in Sachen Progressive Rock aus den Niederlanden gelten, darf man den kommenden Jahren mit gemischten Gefühlen entgegensehen. Der Sampler zeigt zu viele klanglich bisweilen dürftig inszenierte Kompositionen (was im Untergrund, von dem wir sprechen, an sich weniger ins Gewicht fällt) mit zu fester Haftung an Altbewährten, das obendrein hier und dort unzureichend kopiert wurde. Andererseits rechtfertigen INCIDENSE, TRIP TRIGGER und ARMED CLOUD den Kauf durchaus.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.12.2012
Freia Music
73:18
12.12.2012