Mein Freund Matze und ich haben uns verabredet. Wir wollen Dresden unsicher machen und zuvor einen Kultur-Tripp Richtung OSTRALE unternehmen, wo schließlich moderne Kunst von 245 Künstlern aus 33 Nationen ausgestellt wird. Wirkliche Kunst – und nicht solch seltsamer documenta-Krams, bei dem ich immer an Hape Kerkelings <a href=" http://www.youtube.com/watch?v=hCkJ7_Libww " rel="nofollow">Hurz</a> denken muss.
Doch zuvor liegen knapp 60 Kilometer Fahrt vor uns. Das geht natürlich nicht ohne die entsprechende Musik. Matze ist ein ausgewiesener Kenner des 60-er-, 70-er- und 80-er-Jahre-Pop-Rocks. Und da kommt es mir natürlich entgegen, dass ich gerade „Just Tell Me That You Want Me – A Tribute To FLEETWOOD MAC“ zum Besprechen bekommen habe. Die Pop-König(innen) überhaupt, die spätestens seit „Rumours“ Musikgeschichte geschrieben haben. Und das zurecht, denn wer solche Melodien auf einem Album vereinen kann, der ist endgültig im Pop-Himmel angekommen. Selbst meine anfängliche Verachtung als Jugendlicher (Solche Musik durfte man als progressiver Freigeist damals einfach nicht mögen!) ist längst einer entsprechenden musik- und weltoffenen Begeisterung (nicht nur) für dieses FLEETWOOD MAC-Album gewichen.
Da kann ja nichts schief gehen – bei der Fahrt, bin ich mir sicher. Matze sitzt neben mir, er darf sogar die CD einschieben und neugierig das hübsche Papp-Schüberchen mit Pinguin betrachten und all die Namen der Musiker lesen, die sich darauf vereinen. Schnell stellt er fest, dass ihm niemand, außer MARIANNE FAITHFULL, bekannt ist. Obwohl ich mir sicher bin, dass ihm auch BILLY GIBBONS was sagen würde, vorausgesetzt, ich hätte ihm verraten, dass der bei ZZ TOP war.
Doch was ist das???
„Albatross“, ein PETER GREEN-Instrumental-Klassiker von „The Pious Bird Of Good Omen“ (1969), soll die Tribute-CD eröffnen. Doch aus den Lautsprechern wabern psychedelische Soundfetzen. LEE RONALDO, Sänger und Gitarrist von SONIC YOUTH, & J MASICS, ebenfalls Sänger und Gitarrist, allerdings bei DINOSAUR JR., lassen „ihren“ Albatross erst durch die psychedelische Hölle sausen, bis er sich dann erhaben in den GREENchen Himmel erhebt. Ein mehr als gelungener Einstieg in das Album!
Wenn dann auch noch auf „Landslide“ ANTONY zu singen beginnt, richten sich bei mir mit einem Schlag alle Haare gemeinsam mit meiner Gänsehaut auf. Musikalisch ganz nah am Original, gesanglich aber meilenweit davon entfernt. Und, es ist kaum zu glauben, mir gefällt diese Interpretation von ANTONY (& THE JOHNSONS) tatsächlich besser als die originale Variante, 1975 eingesungen von STEVIE NICKS.
Doch langsam schwant mir, dass ich wohl doch nicht die richtige CD für unsere gemeinsame Fahrt gewählt habe. Denn während FLEETWOOD MAC eigentlich auch immer dann gut funktionierten, wenn man vordergründig Anderes als Musikhören vorhatte, klappt genau das nicht bei „Just Tell Me That You Want Me“. Die Musik zwingt einen in ihrer unglaublichen Vielfalt zum Zuhören bzw. stört einen, wenn man sich auf's Nebenbeihören eingestellt hat.
Auf diesem Tribute-Sampler trifft Indie (BILLIE GIBBONS & CO.) auf Rock (THE KILLS) auf Country (KAREN ELSON) auf Blues (TRIXIE WHITLEY) auf Folk (MARIANNE FAITHFULL) auf Elektronik (TAME IMPALA, THE CRYSTAL ARK) auf Pop (WASHED OUT) auf Psyche (CRAIG WEDREN & ST. VINCENT) auf Songwriter (MATT SWEENEY & BONNIE 'PRINCE' BILLY) usw. Und das alles wird in einem großen Musik-Topf zusammengerührt, wie früher bei uns im Osten die von mir so sehr geliebte Soljanka, bis ein scharfer Mix entsteht, den man genießen, aber nicht als nobles Dinner anbieten kann. Hier kommt's nicht auf das geschickte Drapieren von irgendwelchen seltenem Gourmet-Käse auf einem viel zu großen Teller für Feinschmecker an, sondern der Teller scheint viel zu klein für die Vielzahl der Genüsse, die man auf ihn lädt.
Übrigens stammt die Idee zu diesem Tribute von RANDALL POSTER, der als Film- und Fernsehproduzent bereits mit solchen Größen wie MARTIN SCORESE, WES ANDERSON und TODD HAYNES zusammenarbeitete. Da kann ich mir gut vorstellen, wie er sich den Musikern mit etwa folgender Forderung präsentierte:
„Jeder Song darf höchstens die Musik-Seele von FLEETWOOD MAC atmen, aber nicht danach klingen. Klingen muss er nach euch. Nach den Musikern, die die Vergangenheit in die Zukunft holen, ohne den modrigen Geruch aus der Zeit mitzunehmen. Also überlegt euch genau, welchen Titel ihr wählt. Er muss nicht typisch FLEETWOOD MAC sein, dafür aber zu eurem Band- bzw. Musiker-Typus passen!“
Und darum ist es garantiert auch kein Wunder, dass die richtig großen Hits von FLEETWOOD MAC auf diesem Album gar nicht vertreten sind. Von „Rumours“ gibt’s gerade mal zwei Songs zu hören, wobei die ziemlich hart rockende „Dreams“-Variante von THE KILLS mit zu den vielen Höhepunkten dieses Albums zählt. Genauso wie die beinah beängstigend düstere Interpretation von „Silver Springs“ durch die Schwedin LYKKE LI oder die außergewöhnliche MGMT-Version von „Future Games“, die als letzter Titel das Tribute mit einem 9-minüter als elektronische Psyche-Pop-Spielerei mit durch einen Vocoder gejagten Gesang abschließt.
FAZIT: Wer auf FLEETWOOD MAC zu Zeiten ihrer legendären Pop-Phase stand, der sollte vorsichtig sein, wenn er sich diesen Tribute-Sampler zulegt. Hier poppt's nicht – hier geht’s hart zur Sache. Unter erotischem Aspekt könnte ich also hinter einem „Explicit-Lyrics-Sticker“ behaupten, hier wird nicht „gepoppt“ oder „gevögelt“, sondern „gefickt“ (Ja, dieses schreckliche doppeldeutige Wort „Poppen“ hat mich schon immer genervt! - Aber hallo, schließlich ist hier ja auch ein Song von THE NEW PORNOGRAPHERS drauf und ein Vogel auf dem Cover!) - oder besser, das, was euch auf diesem Tribute um die Ohren gehauen wird, ist eindeutig die pure Musiklust, aber kein purer Pop. Gerade das macht aber den Reiz dieser gigantischen Kompilation aus! Herzlichen Glückwunsch für so viel Hardcore bzw. ein dermaßen mutiges Tribute-Album, Herr POSTER!
PS: Ein herzliches Dankeschön an Matthias Jäger für die Inspirationen zu dieser Kritik!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.08.2012
StarCon / Hear Music
78:33
10.08.2012