Eine Passage aus Matt Ruffs aberwitzigem Zukunftsroman „G.A.S.: Die Trilogie der Stadtwerke“ steht für das neue Album der seit 2003 musizierenden Band VESPERO aus dem russischen Astrachan Pate:
„In die Felswand, die sich über dem U-Boot-Dock wölbte, war ein teutonischer Raubvogel eingemeißelt, aber das Hakenkreuz, das er ehemals in den Fängen hielt, hatte Morris mittels einer koscheren Salami weggesprengt. Desgleichen war ein vergilbtes Transparent mit der deutschsprachigen Aufschrift »U-BOATE WILLKOMMEN HIER« mit Laser runtergebrannt worden, und ein Stapel mit der SS-Rune bestempelter Kisten und Stahlfässer hatte bei zahlreichen Schlagsahneschießübungen als Zielscheibe gedient.“
Ansonsten lässt sich die Band für die sechs langen Stücke vom russischen Futurismus und zeitgenössischer US-Literatur beeinflussen, zollt dem Kraut-Rock Tribut und ergründet die Geheimnisse der Weltmeere. Harte Kost? Gar nicht.
Tatsächlich ist „Subkraut“ ein überdurchschnittliches Psychedelic- bis Space-Album geworden, dem überhaupt nichts von vergeistigter, kopflastiger Avantgarde anhaftet. Die ausnahmslos überlangen Instrumentalstücke prägt naheliegenderweise ein hypnotischer Charakter. VESPEROs Prinzip heißt Klangverdichtung, auch gleich im eröffnenden „The Strangest Thing In The Ocean“, das durchaus als wertfreier Soundtrack zu einer Lovecraft-Geschichte herhalten könnte. Der Moloch Cthulhu zieht jedenfalls auch über einem ostinaten Bass-Teppich mit aufgesetzten Keyboard-Perlen und Echolot-Gitarren eindrücklich am geistigen Auge vorüber. Post Rock könnte von dieser Band lernen, wie man Soundwälle spannend aufbaut, ohne dass es bereits nach zehn Sekunden vorherzusehen ist.
Das von einer pluckernden Synthesizer-Schleife vorangetriebene „Anpeilen!“ gemahnt vor allem ob des Einsatzes verhuschter Bläser und im Hintergrund stammelnder Stimmen an klassische HAWKWIND. Die Bewegung, die der Track im Laufe von zehn Minuten vollzieht, ist minimaler Natur, die Wirkung dafür jedoch umso intensiver. Das längste Stück „Underwater“ klingt zunächst minimal-elektronisch wie KLAUS SCHULZE, und man stellt sich einen überfluteten Dschungel vor, in dem sich das Wildleben in Zeitlupe abspielt. Die Rhythmusgruppe steigt nach einem Drittel der Spielzeit ungleich agiler ein, und allmählich schält sich ein konkretes Gitarrenmotiv heraus, das erstaunlich virtuose Züge annimmt. Jazz-rockig wie SOFT MACHINE werden VESPERO zwar nie, doch der musikalische Gestus ist ein ähnlicher wie bei den Briten.
„Target Selection“ erweist sich als mehrschichtiger Drone mit wie bereits zuvor hin und wieder auftauchenden Percussion-Bojen, an denen der Hörer durch den zunächst undurchdringlichen Klangwust robben kann. Mittig dünnt die Struktur aus, bevor Ivan Fedotov mit viel Becken-Klingklang begeistert, während Kollege Klabukov breite Flächen stapelt. Dann lassen sich VESPERO Zeit, die Kulisse Stück für Stück wieder abzubauen – toll!
„Angriff ran, versenken!“ treibt von Beginn an. Wieder sind die Flötentöne sehr präsent, doch hinzu kommt noch in der ersten Hälfte ein repetitives Dreitonmotiv, das Kuzovlev improvisatorisch ummünzt, damit seine Hintermannschaft ruhiger wird. Die einstweilige Entspannung nutzt die Band schließlich, um einen Wirbelsturm zu entfachen, angeführt vom prominenten Ride-Becken und schmatzenden bis kreischenden Gitarren. Das Tempo zieht wie zum Schein an, doch eigentlich handelt es sich nur um eine Anhäufung der Klangelemente. In „Alarm … The Art Of Positive Thinking“ geht das Quartett ähnlich vor: stiller Beginn, Verfestigung der Motive – und dann nach Herzenslust zerfasern. Allerdings bleibt Gitarre, Getrommel und glitzernde Tasten-Kaskaden laufen gefühlt aneinander vorbei, ehe VESPERO noch einmal zum großen Wurf ausholen. Einstweilen schälen sich haptische Melodien heraus, die geradezu euphorisieren, ein fantastisches Finale für dieses unverhoffte Album einer brennend interessanten Band, die auf ihrer Website Live-Performances für lau anbietet. Diese Scheibe gibt es indes auch als schweres und natürlich limitiertes Buch zu kaufen. Bitte tun.
FAZIT: Wer von OZRIC TENTACLES mal wieder etwas richtig Spannendes hören möchte und sich am Allerbesten von POPOL VUH nicht satthören kann, sollte diese Russen anchecken. Eingedenk einer für ihren Menschenschlag typischen Schrulligkeit in Sachen Deutschland bereitet „Subkraut“ großes Hörvergnügen.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.05.2012
Arkady Fedotov
Alexander Kuzovlev
Arkady Fedotov
Ivan Fedotov,
Arkady Fedotov (Flutes), Alexei Klabukov (Accordeon), Alexander Kuzovlev (Electronics)
RAIG
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04.05.2012